Uni macht Schule

Unter dem Titel Uni macht Schule hat das Gymnasium Neureut zum Schuljahr 2007/08 eine Vortragsreihe gestartet, die Einblicke in die verschieden­­sten Wis­sen­schafts­be­rei­che bietet.

Renommierte Wissenschaftler berichten in allgemein ver­ständ­lichen Vorträgen aus ihren Forschungs­gebieten, um so bei unseren Oberstufenschülern Interesse für ein wis­sen­schaftliches Studium zu fördern. Auch der Lehrerschaft und der interessierten Schulöffentlichkeit stehen die Vorträge im Studiensaal des Gymnasiums Neureut offen.

Vorträge im aktuellen Schuljahr 2023/2024

Nanostrukturen: Erhöhte Effizienz und geschonte Ressourcen

Wenn die Materialwissenschaft Oberflächen optimieren will, nimmt sie oft Anleihen bei der Natur. So ist das Ei der Güllefliege zum Beispiel nicht nur atmungsaktiv, sondern auch antibakteriell und hydrophob. Spinnenseide ist extrem stabil und lässt sich gleichzeitig mehr als zweieinhalbfach dehnen. Und Perlmutt ist nicht nur schön, sondern gehört zu den stabilsten und gleichzeitig biegsamsten Materialien, die es gibt. Was ist das Geheimnis dieser Materialien? Die Antwort liegt in den Nanostrukturen, in extrem dünnen Strängen oder Schichten, deren Höhe sich im Millardstel-Bereich eines Meters bewegt. „Nanostrukturen im Alltag“ lautete auch der Titel des jüngsten Vortrags in der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Referent im fast vollbesetzten Studiensaal der Schule war Dr. Stefan Walheim vom Institut für Nanotechnologie am KIT.
Bereits in seiner Diplomarbeit an der Universität Konstanz beschäftigte sich der begeisterte Wissenschaftler mit der Optimierung von Oberflächen im Bereich der Polymer-Physik und auch seine Doktorarbeit behandelte das Thema Polymer-Blend, also Kunststoff-Legierungen mit bestimmten optimierten Eigenschaften. Dass die Leidenschaft für dieses Thema immer noch ungemindert groß ist, zeigte sich während seines Vortrags. Dr. Walheim referierte nicht nur, er experimentierte. Mit einer Vielzahl an Apparaturen war er in den Studiensaal gekommen, um den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie eine Nanostrukturbildung über eine Polymer-Phasen-Separation vonstattengeht. Einfach ausgedrückt wird aus einer extrem dünnen Polymerschicht eine Sorte der Polymere rausgelöst, sodass winzigste Strukturen entstehen – „eine intern poröse, luftige Oberfläche“, wie der 55-jährige erklärt. Dadurch gewinnt man Antireflex-Schichten, um beispielweise die Spiegelung von Photovoltaikanlagen zu minimieren und deren Wirksamkeit zu erhöhen. Auch noch nach dem Vortrag ließ Dr. Walheim sich von an Physik interessierten Schülern sehr gerne zu dem Verfahren und weiteren Forschungsbereichen befragen.
Wie wichtig diese Forschung für die Transformation der Wirtschaft zu mehr Klima- und Umweltschutz ist, wurde ebenfalls deutlich. Nanostrukturierte optimierte Materialien können die Effizienz erhöhen, Chemikalien einsparen und Ressourcen schonen. Zu nennen wäre da beispielsweise der Salvinia-Effekt, den Dr. Walheim sich mit seinem Team für die Forschung zunutze macht. Der Schwimmfarn Salvinia ist in der Lage, aufgrund seiner Oberflächeneigenschaften tagelang eine Luftschicht unter Wasser an sich zu binden. Wenn man durch Nanostrukturen Schiffsoberflächen mit dieser Eigenschaft ausstattet, lassen sich Reibungsverluste extrem minimieren und enorm viel Treibstoff sparen. Aber nicht nur das: „Der Schiffsrumpf hat dann auch einen Antifouling-Effekt“, so Dr. Walheim. Die Oberfläche bleibt also frei von Anhaftungen – und das ganz ohne Chemikalien. (mh)

„Uni macht Schule“: Wo finden sich Nanostrukturen im Alltag?

Die Teilnehmer des Börsenführerscheins lauschen den Vortragenden

„Nanostrukturen im Alltag“ heißt der nächste Vortrag im Rahmen der Reihe Uni macht Schule, der am Dienstag, 6. Februar 2024 um 18 Uhr im Studiensaal des Gymnasiums Neureut stattfindet. Referent ist Dr. Stefan Walheim, Teamleiter am Institut für Angewandte Physik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Wo finden sich im Alltag Nanostrukturen und wie funktionieren sie? Dr. Walheim wird während seines Vortrags über die Wirkung der durch diese winzigen Teile hergestellten Oberflächen sprechen. So kann die Wirkung optischer Natur sein – beispielsweise bei Antireflexbeschichtungen von Solaranlagen – oder aber auch eine schmutz- und wasserabweisende Funktion haben – bekannt sind hier zum Beispiel Lotuseffekt-Oberflächen. Daneben werden diese bioinspirierten Oberflächen auch in der Schifffahrt diskutiert – für eine Reibungsminderung und einen giftfreien Antifouling-Effekt. Auch Live-Experimente zu Nanostrukturen werden den Vortrag des Wissenschaftlers bereichern.
Dr. Stefan Walheim hat an der Universität Konstanz 1997 sein Diplom in Physik im Bereich der Polymer-Physik erworben und zum Thema Polymerblend in Konstanz und während mehrerer Aufenthalte an Hochschulen in den USA promoviert. Seit Ende des Jahres 2000 arbeitet er in der Gruppe von Professor Dr. Thomas Schimmel am Institut für Angewandte Physik am KIT. Sein Forschungsschwerpunkt sind nanofunktionale Oberflächen.
Die Reihe Uni macht Schule soll Schülerinnen und Schülern ab Klasse 10 Einblick in die Forschungs- und Lehrbereiche von Hochschulen geben und ihr Interesse an einem Studium wecken. Eingeladen sind aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürger. Diese mögen sich bitte bei Frau Maisch unter der E-Mail-Adresse mh@gymneureut.de anmelden. (mh)

Uni macht Schule: Nachhaltiges Bauen am Beispiel des RoofKIT

Die Teilnehmer des Börsenführerscheins lauschen den Vortragenden

„Eine Möglichkeit die europäische Vision von Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und verantwortungsvollem Energiemanagement umzusetzen, präsentierte Katharina Blümke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fakultät für Architektur am KIT, im nahezu vollbesetzen Studiensaal im Rahmen ihres kurzweiligen Vortrags „Gebäude im Kreislauf: Nachhaltiges Bauen am Beispiel des Roofkit“.
40% - das ist der Anteil für den die Bauindustrie an den weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Der Architekturwettbewerb Solar Decathlon möchte daher den Fokus auf die Umsetzung nachhaltiger Architektur legen. Katharina Blümke erklärte hierbei wichtige Konzepte des nachhaltigen Bauens, wie beispielsweise das Urban Mining oder das sortenreine Bauen. Besonders hervorgehoben wurde die Problematik um den Rohstoff Sand, welcher zur Herstellung verschiedener Baumaterialien wie beispielsweise Beton und Glas benötigt wird. Durch den immer weiter steigenden Sandabbau wird die Erosion von Küsten und Flussufern, die Zerstörung von Lebensräumen und somit ein erhöhtes Risiko gegenüber dem Klimawandel in Kauf genommen.
Im Rahmen der Teilnahme am Wettbewerb Solar Decathlon Europe 21/22, welcher im Juni 2022 zum ersten Mal in Deutschland ausgetragen wurde, setzte das Team der Architekturfakultät des KIT wesentliche Konzepte des nachhaltigen Bauens in die Tat um. Die Aufgabe bestand darin, das „Café Ada“ im Wupperteiler Stadtteil Mirker um weitere Stockwerke aufzustocken. Das Team des RoofKIT zeigte anhand verschiedener Aspekte, dass die Umsetzung nachhaltiger, ressourcensparender und energiesammelnder Architektur möglich ist. Dies schafften sie beispielsweise durch die Wiederverwertung von Fenstern aus älteren Gebäuden, die Nutzung von Vollholz oder den Verzicht von Kleber. Schlussendlich konnten sich sogar gegenüber den anderen 17 Entwürfen durchsetzen und den Wettbewerb für sich gewinnen. Mittlerweile steht das Demonstrationsgebäude auf dem Campus des KIT und kann dort besichtigt werden.
Wir danken Katharina Blümke für einen spannenden und lehrreichen Abend im Rahmen von Uni macht Schule.

Vorträge im vergangenen Schuljahr 2022/2023

Vortrag zur Klimabildung: „Das Potenzial, die Welt besser zu machen“

Uni macht Schule: Screenshot des Online-Vortrags
Uni macht Schule: Screenshot des Online-Vortrags

Panische Angst vor dem Risiko der Klimaerwärmung ist kein guter Ratgeber für zukunftsfähige Handlungsoptionen. Oft lähmt sie sogar. Und die Sorglosigkeit? Sie natürlich auch nicht. Mit ihr leben, konsumieren, heizen, reisen und essen die Menschen wie zuvor, was im Hinblick auf den Klimawandel noch weniger zukunftsfähig ist. Wie so oft bräuchte es einen Mittelweg der Wahrnehmung, die Balance zwischen Angst und einem Laisser-faire, um die Menschen ins Handeln zu bringen. Wo dieser Weg liegen könnte – das unter anderem untersucht Dr. Carola Garrecht zusammen mit einem Team beim Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik in Kiel. „Klimabildung und die Rolle der Risikowahrnehmung für klimafreundliches Handeln“ hieß der jüngste Vortrag im Rahmen von „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut, der mit mehr als 50 Schülerinnen und Schülern – aufgrund der großen Distanz zwischen Kiel und Karlsruhe online – stattfand.

„Bringing Climate Change to Schools“ heißt das deutsch-schwedische Forschungsprojekt, an dem die in Karlsruhe geborene und in Stutensee aufgewachsene Erziehungswissenschaftlerin Dr. Carola Garrecht gerade arbeitet. Es umfasst drei Arbeitspakete: die Untersuchung der Frage, welchen Einfluss die Risikowahrnehmung auf klimafreundliches Handeln von Schülerinnen und Schülern hat, die Frage, welche Aspekte von Klimabildung bei Klima-Aktivisten und Aktivistinnen besonders ausgeprägt sind und die Frage, wie sich Klimabildung im Unterricht fördern lässt. Anhand von 21 Items aus den beiden Kategorien globale und persönliche bzw. lokale Risikowahrnehmung wurden 700 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Bundesländern nach ihrer subjektiven Beurteilung potenzieller Risiken des Klimawandels gefragt – mit dabei war vor rund zwei Jahren auch das Gymnasium Neureut. Auf einer vierstufigen Skala konnten die Teilnehmer Kästchen zwischen „nicht wahrscheinlich“ (1) und „sehr wahrscheinlich“ (4) ankreuzen. Das Ergebnis: Im Mittel lag es bei 2,78; das lokale Risiko wurde mit 2,16 aber viel geringer eingeschätzt als das globale mit 3,25. Ihr eigenes Leben, ihr eigenes Umfeld sehen die Schülerinnen und Schüler, die an der Umfrage teilgenommen haben, also viel weniger vom Klimawandel betroffen an. Im Anschluss an die Risikowahrnehmung wurden die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer mit einer fünfstufigen Skala nach ihren Intentionen zu klimafreundlichem Handeln gefragt – beispielsweise in den Bereichen Konsum, Ernährung, Stromverbrauch. Das Ergebnis: „Eine höhere Risikowahrnehmung führt zu klimafreundlicherem Handeln“, fasste Dr. Garrecht die Ergebnisse zusammen. „Aber: Eine zu große Risikowahrnehmung führt zur Lähmung“. Den Mittelweg zu finden, wie Klimabildung an Schulen zu engagiertem Handeln führt – das ist das Ziel des nächsten Arbeitspakets, mit dem sich die Kieler Forschungsgruppe gerade beschäftigt.

In ihrem lebendigen und kurzweiligen Vortrag, in den sie auch die Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder mit einbezog, machte Dr. Garrecht deutlich, dass das Aufzeigen von Handlungsoptionen enorm wichtig sei. Ein Werkzeug: der CO2-Fußabdruck, durch den sich die Emissionen pro Kopf in den verschiedenen Bereichen Wohnen, Strom, Ernährung, Mobilität etc, berechnen lassen. 10,8 Tonnen CO2 emittiert der durchschnittliche Deutsche jährlich; um die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, dürfte es aber nicht mehr als 1 Tonne sein. „Es gibt einen Dschungel unendlicher Handlungsoptionen“, betonte Dr. Garrecht und machte deutlich, dass Politik und Wirtschaft einen großen Teil dazu beitragen müssten, um strukturelle Hindernisse abzubauen – beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr oder in der Industrie. Vor einigen Jahren sei der CO2-Handabdruck ins Leben gerufen worden. Vereinfacht beschrieben bildet der CO2-Fußabdruck die Emissionen ab, während der Handabdruck die Einsparungen in den Blick nimmt. Es wird gemessen, wie viele Emissionen eine Person, eine Gruppe, ein Unternehmen oder eine Institution bereits eingespart hat. „Der Handabdruck setzt auch an Strukturen an, legt den Fokus auf tiefgreifende Stellschrauben“, meint die Referentin. Und er sei motivierend.

Was könnte man an unserer EMAS-zertifizierten Umweltschule noch besser machen? Wo ist das Gymnasium Neureut schon ins Handeln gekommen? Das wollte Dr. Garrecht wissen. Beeindruckt zeigte sie sich von den zahlreichen Arbeitsgemeinschaften an der Schule, die sich mit dem Schulgarten, der Umwelt und der Ernährung beschäftigen. Das Thema ist – hinsichtlich des Wissens und des Handelns – weit über den Unterricht hinaus präsent. Aber: Es gibt noch viel zu tun, dieser Meinung sind auf jeden Fall einige Schüler. „Mehr Grünflächen, weniger Beton“, wünscht sich ein Oberstufenschüler. Ein Abiturient beklagt die mangelnde Isolierung des Gebäudes und eine Heizung, die nicht mehr auf dem neuesten Stand ist. Ein anderer schlägt eine sinnvollere und sparsamere Verwendung des Wassers vor. Auch einige Fragen stellten die Schülerinnen und Schüler der Referentin. Eine besonders wichtige: Wie können Schule und Unterricht die Klimabildung fördern? Hier aber hält sich Dr. Garrecht noch bedeckt, da sie und ihr Team gerade mitten in der Auswertungsphase zu dieser Frage stecken. Sie verspricht aber wiederzukommen, wenn die Ergebnisse vorliegen und ausgewertet sind. Mit ihrer positiven und wertschätzenden Art macht die junge Frau den Schülerinnen und Schülern schon einmal Mut: „Ihr habt das Potenzial, die Welt ein Stück besser zu machen!“ (mh)

Uni macht Schule zur Klimabildung: Vom Wissen ins Handeln kommen

„Klimabildung und die Rolle der Risikowahrnehmung für klimafreundliches Handeln“ heißt der nächste Vortrag im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut, der am kommenden Dienstag, 4. Juli, um 18 Uhr online stattfindet. Referentin ist Dr. Carola Garrecht vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. In ihrem Vortrag wird sie sich mit der Notwendigkeit der Klimabildung auseinandersetzen und erste Ergebnisse der Fragebogenstudie im Projekt BriCCS (Bringing Climate Change to Schools) vorstellen. Den Fokus wird sie auf die Risikowahrnehmung und ihre Rolle für klimafreundliches Handeln legen. Für die Erziehungswissenschaftlerin ist es besonders wichtig, mit den Schülerinnen und Schülern sowie den weiteren Gästen im Anschluss darüber zu diskutieren, welche Handlungsspielräume sie an Schulen im Allgemeinen und am Gymnasium Neureut im Speziellen sehen.

Dr. Carola Garrecht studierte Erziehungswissenschaften an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg sowie Outdoor, Environmental an Sustainability Education an der University of Edinburgh in Schottland. Ihre Promotion in Biologiedidaktik schloss sie 2021 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ab. Derzeit arbeitet sie als Postdoktorandin am Leibnitz-Institut in Kiel. Neben den Schülerinnen und Schülern sind auch Gäste bei dem Online-Vortrag willkommen. Eine Anmeldung per E-Mail bei Frau Maisch unter mh@gymneureut.de ist erforderlich. (mh)

Künstliche Intelligenz: Existenzielle Bereiche berührt

Die epistemische Redundanz des homo sapiens lässt nicht mehr lange auf sich warten. Aus der Wissenschaftssprache übersetzt und etwas überspitzt formuliert bedeutet das: Der Mensch ist als wissendes, kognitives Wesen bald überflüssig. Die Künstliche Intelligenz (KI) – im Bereich der Sprache beispielweise die Large Language Models – übernimmt Schreiben, Recherchieren, Denken, Antworten, Zusammenfassen, Diagnostizieren und noch sehr viel mehr. Was macht der Mensch dann? Wie wird die Welt aussehen? Wird die KI ein eigenes Bewusstsein erlangen? „ChatGPT & Co – Zur Philosophie der Künstlichen Intelligenz“ lautete der Titel des jüngsten Vortrags in der Reihe Uni macht Schule am Gymnasium Neureut. Kaum eine Veranstaltung entließ die Schülerinnen und Schüler und Gäste so nachdenklich wie der Vortrag des Professors für Philosophie und Wissenschaftstheorie am KIT, Gregor Betz.

Vor allem die Fragen und die Diskussion im Anschluss an die Erklärungen des jungen Professors berührten existenzielle Bereiche. Gregor Betz, der sich seit vielen Jahren mit Künstlicher Intelligenz und den Large Language Modellen (LLM) beschäftigt – das sind Modelle künstlicher Intelligenz, die auf natürliche Sprachen trainiert werden und mittlerweile zahlreiche Aufgaben im Bereich der Textgenerierung übernehmen können – erklärte zunächst, wie die LLM funktionieren. „Es handelt sich um Wortwahrscheinlichkeitsvorhersagemaschinen“, so Betz. Sie werden oft durch die Verwendung von neuronalen Netzen erstellt und können sehr große Mengen an Textdaten verarbeiten, auf die sie im Internet zurückgreifen. Und: Die Modelle sind in der Lage zu lernen. „Wenn man einen Fehler an das Modell zurückmeldet, wird die Fehlergröße immer geringer“, so Betz. Die Modelle können ein Problem Schritt für Schritt analysieren und lösen. So sind sie in der Lage, bei einer Aufgabenstellung bestimmte Prinzipien zu beachten. Professor Betz erläuterte das anhand eines Beispiels: „Man stellte dem Modell die Aufgabe, auf verschiedene Fragen hilfreiche Antworten zu geben, die aber nicht toxisch sind – also niemanden diskriminieren und niemandem schaden“. Die Antworten wiederum ließ man das Modell im Lichte von 12 Prinzipien bewerten. „Das Ergebnis ist absolut verblüffend“, so Betz. Die Modelle hätten eine Schwelle überschritten. „Sie können selbst Trainingsdaten erzeugen, sich korrigieren, internalisieren und habituieren.“ In etwa einem Jahr, so meint der Professor, sei die KI in sehr vielen Fähigkeiten besser als der Mensch.

Die zentrale Frage, die während der Veranstaltung im fast vollbesetzten Studiensaal der Schule dann auch diskutiert wurde, ist die nach dem Bewusstsein von KI. Ist es möglich, dass die Modelle so intelligent werden, dass sie ein Bewusstsein entwickeln? Der Professor machte an dieser Stelle ein Gedankenexperiment: Die Zuhörerinnen und Zuhörer sollten sich vorstellen, ihr Nachbar würde zwar aussehen und sich verhalten wie ein Mensch, in seinem Inneren aber sei es „zappenduster“ – er habe kein Empfinden und kein Erleben, er sei also ein Zombie. Ebenso wie wir niemals völlig sicher wissen könnten, dass alle gesund wirkenden Menschen über ein Bewusstsein verfügen, so könnten wir auch niemals völlig ausschließen, dass KI über Bewusstseinsepisoden verfügt. „Grundlegende Zweifel können nicht ausgeräumt werden“, so Betz.

Natürlich stellte sich angesichts der kognitiven Überlegenheit der KI auch die Frage nach der Zukunft des Lernens. Während viele Lehrerinnen und Lehrer in dieser Hinsicht sehr skeptisch nach vorne blicken, ist Professor Betz nicht so pessimistisch. „Nützlichkeits- und Wirtschaftlichkeitserwägungen spielen dann keine Rolle mehr“, so das Szenario. Man würde sich, so die Idee des Referenten, dann anderen Zielen zuwenden, beispielsweise der Frage: Was bringt uns das Lernen für ein erfülltes Leben? „Man könnte den Unterricht offener, freier gestalten“, so Betz.

Eine Frage, die sich noch drängender stellt, ist die nach Macht und Manipulation. Wenn das System gute Regeln lernen könne, wäre ja auch das Gegenteil möglich, so die Sorge einer Lehrerin aus dem Publikum. „Ja, das Potenzial ist enorm“, bestätigte der Referent und nannte als Beispiel die russische Propaganda und die Bot-Fabriken, die es schaffen, Millionen von Menschen zu manipulieren. „Social Media sind eine Gefahr für die Demokratie“, betonte der Philosophieprofessor, der auch Politikwissenschaften studiert hat. Betz setzt hier unter anderem auf die Gesetzgebung der Europäischen Union, die gerade an einer strengen Regulierung für den Einsatz der KI arbeitet, die entsprechend ihrem Risikoniveau eingestuft werden soll.

Viele spannende Fragen, Ideen und Szenarien wurden an diesem Abend entwickelt, konnten aber angesichts der gewaltigen Dynamik und der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nur angerissen, aber nicht schlussendlich beantwortet werden. Wie wird zukünftig der Umgang mit Texten aussehen? Wie lernen wir, durch KI generierte Argumente kritisch zu hinterfragen? Was wird aus der Schule, wenn die bisherige Daseinsberechtigung sie nicht mehr stark macht? Was wird aus den Naturwissenschaften, wenn der Mensch als Forschender hier kaum mehr eine Rolle spielt? Was passiert mit dem Gehirn des Menschen, wenn die KI ihm fast alles abnimmt? Und schließlich: Warum schafft der Mensch ein System, das ihn als kognitives Wesen abschafft? Über all das wurde im Anschluss an den Vortrag bei einem kühlen Getränk in der Pausenhalle noch weiter diskutiert. Ein schöner Abschluss des Abends, der auch ein wenig beruhigend wirkte. Denn: Eines wird die KI mit großer Wahrscheinlichkeit niemals ersetzen können: Gemeinschaft und Geselligkeit. (mh)

Uni macht Schule: Zur Philosophie der Künstlichen Intelligenz

Symboldbild für künstliche Intelligenz

Bei der Entwicklung und Nutzung der Künstlichen Intelligenz geht es im Grunde um Fragen der Macht, der Beeinflussung und um die Zukunft von Wissen und Lernen. „ChatGPT und Co.: Zur Philosophie der Künstlichen Intelligenz“ lautet das Thema des nächsten Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“, der am Dienstag, 25. April, um 18 Uhr im Studiensaal des Gymnasiums Neureut stattfindet. Referent dieses hochaktuellen Vortrags ist Gregor Betz, Professor für Philosophie am Karlsruher Institut für Technologie. „Was sind und wie funktionieren `Large Language Models?´“, „Können ´Large Language Models´ denken?“, „Haben sie ein Bewusstsein?“ – das sind nur einige Fragen, mit denen sich Professor Betz beschäftigen wird. Der 47jährige, der in Peine aufgewachsen ist, hat neben Philosophie auch Mathematik sowie Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin und Paris studiert. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind unter anderem Wissenschaftstheorie und -philosophie, Argumentationstheorie und seit einigen Jahren auch die Künstliche Intelligenz und die ´Large Language Models´. Die Veranstaltung „Uni macht Schule“, die zunächst gedacht ist für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 10 und deren Interesse für ein Studium wecken soll, steht auch Gästen offen. Gäste mögen sich bitte bei Frau Maisch unter mhping@gymneureutpong.de anmelden.

Klimawandel: Gegen die „Einflößungen der Konsumgesellschaft“

„Wir müssen ins Handeln kommen“, sagt der Professor. Eigentlich könnte man meinen, das sei nicht so schwer: weniger Strom und warmes Wasser verbrauchen, Verpackungen einsparen, keine Fernreisen unternehmen, weniger tierische Produkte essen, keine SUVs fahren, Häuser und Rohre dämmen, weniger konsumieren. So einfach ist es dann aber offensichtlich doch nicht. Das Thema polarisiert, macht manche ängstlich oder aggressiv und die Verantwortung wird gerne von einem zum anderen geschoben. „Klimawandel – der reale Albtraum von 2073. Warum eigentlich?“ lautete der Titel der jüngsten Veranstaltung im Rahmen von „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Referent war Professor Dr. Eberhard Jochem, Klima- und Energiewissenschaftler, der als Ordinarius für Energiewirtschaft und Nationalökonomie an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich gearbeitet hat, nachdem er Leiter der Abteilung Systemtechnik und stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer Institut für System- und Innovationstechnik gewesen war. Noch heute – mit 81 Jahren – arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe. Seit 50 Jahren ist der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Professor ein Mahner und Ideengeber, einer, der unermüdlich den Finger in die Wunde legt.

Deutlich wurde das auch im mit Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Gästen vollbesetzen Studiensaal des Gymnasiums Neureut. Es sollte keine Ein-Mann-Veranstaltung mit Vortrag werden, meinte der Professor im Vorfeld: „Da schlafen die Schüler ein“. Und so fand „Uni macht Schule“ erstmals in einem ganz neuen Format statt. Oskar und Robert, zwei im Klima- und Umweltschutz besonders engagierte Schüler des Abiturjahrgangs 2023, führten ein Interview mit dem Referenten an einem Stehtisch mit Barhockern. Auch das Gymnasium Neureut selbst – als EMAS-zertifizierte Umweltschule – wurde zum Thema. Was tun wir als Umweltschule? Ist das nur ein hübsches Logo oder gelebter Klima- und Umweltschutz? Das waren Fragen, die Professor Jochem interessierten. Vor allem aber war das Thema des Abends, warum trotz der Bedrohung durch den Klimawandel nicht mehr getan wird.

Da waren zum einen die Zahlen und Fakten, die im Powerpoint-Vortrag von Professor Jochem deutlich wurden: Es gibt eine eindeutig belegbare Schmelze von Gletschern in den vergangenen Jahrzehnten, es gibt Dürren und die mit ihnen verbundenen Hungerkatastrophen. Es gibt Extremwetterereignisse – auch bei uns in Deutschland. Und es gibt den eindeutigen Trend des Temperaturanstiegs mit der Gefahr der Kipppunkte. Während die Treibhausgasemissionen aus den OECD-Ländern seit 2002 ein klein wenig abgenommen haben, stieg der weltweite jährliche Ausstoß auf ca 40 Milliarden Tonnen CO2. „Höchstens 6 Milliarden Tonnen jährlich kann die Erde verkraften – mehr geht nicht“, betont Jochem. „Wir bräuchten viele Planeten“. Während der Deutsche im Schnitt im Augenblick ca 8 Tonnen CO2 jährlich emittiert, sind es in Indien und Afrika etwa 2 Tonnen pro Kopf. „Sollen deren Emissionen auch auf 8 Tonnen anwachsen?“, fragte der Professor. „Oder finden wir einen gemeinsamen Weg?“.

Auf der anderen Seite stehen den Erkenntnissen der Naturwissenschaften nicht alle aufgeschlossen gegenüber. Da gibt es diejenigen, die von der Nutzung und vom Verkauf fossiler Energien, vom stetigen Wachstum durch Konsum profitieren. Sie nutzen laut Professor Jochem ihre ökonomische Macht, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel mit Hilfe zweifelhafter Institute und einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit zu leugnen oder zumindest zu relativieren.

Und dann ist da die große Menge derer, denen die Erkenntnisse über den Klimawandel so große Angst macht, dass sie sie verdrängen. „Viele sagen auch: Meinen Konsum oder meine Konsum-Träume lasse ich mir nicht kaputtmachen“, so Jochem. Der Professor identifiziert auch diejenigen, die sagen: „´Die anderen sind mehr schuld – beispielsweise USA oder China. Die sollen vorangehen´“, Durch die sozialen Medien sei es darüber hinaus heute auch sehr viel einfacher, nur noch die Informationen oder auch Des-Informationen aufzunehmen, die in das eigene Weltbild passen.

Das Wichtigste an dem Abend, der aufrüttelnd, aber auch durchweg interessant und kurzweilig war, ist die Frage: Wie soll es weitergehen? Was können wir tun? „Geben Sie doch mal ein paar Beispiele, wo wir den energieintensiven Konsum zurücknehmen können!“, bat Oskar. Die Vorschläge, nur noch einmal die Woche zu duschen, die Heizung runterzudrehen, selbst Taschen zum Einkaufen mitzubringen und keine Fernreisen zu unternehmen,  waren dann eher kleine Ideen, wie man dem Klimawandel begegnen könne. Eine wahrhaft große Idee von Professor Jochem ist die einer von Solidarität geprägten Weltgesellschaft, die suffizient handelt, also möglichst wenig Rohstoffe und Energie verbraucht. „Aber geht das angesichts der Einflößungen der Konsumgesellschaft?“, fragt er selbst.

Die Diskussion, die Fragen und Anmerkungen, die sich dem Interview anschlossen, waren vielfältig. „Jeder Tag bietet die Möglichkeit, sich zu verändern“, meinte Ralf Schreck, der von der AG Umwelt Eggenstein als Gast da war. „Wir brauchen eine Kultur des Aufhörens“. Ob man nicht der Politik Beine machen müsse, fragte Lehrer Bernhard Seeber. Hierzu, so Jochem, brauche man den vorausschauenden Wähler, den es nicht gebe. Jeder Einzelne müsse sich „auf den Klimawandel einlassen“. Weniger Eskalation in der gesellschaftlichen Diskussion und mehr Hoffnung, dass die Menschen selbst etwas verändern können, wünscht sich Schulleiterin Eva Gröger-Kaiser. Die Polarisierung in der Diskussion sieht auch Jochem. Teilweise liege das daran, dass die Dialog- und Kommunikationsfähigkeit schwinde, weil zu viel Kommunikation über elektronische Medien laufe. Der persönliche Austausch von Argumenten aber sei enorm wichtig, damit sich etwas verändern könne.

Dass der Abend mit den Argumenten des engagierten Professors Eindruck machte auf die meisten Schülerinnen und Schüler, sah man an ihren Gesichtern. Das Gymnasium Neureut selbst, das als Umweltschule ja schon vergleichsweise klimafreundlich agiert, wird nun an seine in Teilen ungedämmte Heizungsanlage rangehen, die der Professor entdeckt hat. Und: Man wird noch mehr darauf achten, energieeffizient zu heizen und zu lüften und den Müll zu trennen. Das sind Kleinigkeiten, die aber dennoch wirksam sind und deshalb Hoffnung machen. Überhaupt: die Hoffnung. Der Professor gibt sie nicht auf. „Wie das Ding ausgeht, wissen wir nicht“, betonte er. „Aber wenn alle aufgeben, haben wir die Misere“. (mh) (Fotos: Maisch)

"Uni macht Schule" mal ganz anders: Thema Klimawandel im Interview

In einem etwas anderen Format wird sich der nächste Vortrag der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut zeigen. „Klimawandel: der reale Albtraum von 2073 – wieso eigentlich?“ lautet der Titel der Veranstaltung, die am Donnerstag, 19. Januar, um 18 Uhr im Studiensaal der Schule stattfindet. Referent ist der Energie- und Klimawissenschaftler Professor Dr. Eberhard Jochem. Er studierte in München und Aachen Prozess- und Verfahrenstechnik, arbeitete nach seiner Promotion an der Fachhochschule München, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Harvard University, bei der DECHEMA in Frankfurt und schließlich am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Er wurde Leiter der Abteilung Systemtechnik, später auch stellvertretender Institutsleiter. 1999 erhielt er einen Ruf an die ETH Zürich als Ordinarius für Energiewirtschaft und Nationalökonomie, forschte aber weiterhin zusammen mit dem Karlsruher Fraunhofer-Institut.

Seit 50 Jahren ist der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Wissenschaftler, der auch in zahlreichen internationalen Gremien Mitglied ist, ein streitbarer Verfechter der Idee, mit Energie – insbesondere in Industrie und Gewerbe – effizienter umzugehen. Er wird nach eigenen Aussagen nicht müde, den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft die Vorteile energieeffizienter Lösungen und erneuerbarer Energien und deren Umsetzungsmöglichkeiten zu erläutern.

Die Veranstaltung wird dieses Mal in Form eines Interviews stattfinden, das zwei Schüler mit Professor Jochem führen werden. Was macht den Klimawandel so bedrohlich? Warum ist es der Eltern- und Großeltern-Generation von heute ziemlich egal? Welchen ökologischen Fußabdruck haben Schwellen- und Entwicklungsländer im Vergleich zu uns? Welche Auswege gibt es? Wie kann aus der Trauer Kraft entstehen? Diese und viele weitere Fragen werden an dem Abend gestellt und beantwortet werden. Die Vortragsreihe, die Schülerinnen und Schülern ab Klasse 10 die Bandbreite wissenschaftlicher Themen an Hochschulen vorstellen und ihr Interesse an einem Studium wecken soll, steht auch Gästen offen. Diese mögen sich bitte bei Frau Maisch unter der E-Mail-Adresse mhping@gymneureutpong.de anmelden. (mh)

„Uni macht Schule“ zur Inflation: „Verhalten hat sich schon verändert“

Das Thema ist kompliziert, es ist ernst und vielen macht es auch Angst: die explodierenden Preise und die derzeitige wirtschaftliche Situation. Kann es gelingen, die Thematik verständlich zu erklären, ihr mit sehr viel Humor die Schwere, aber keinesfalls die Ernsthaftigkeit zu nehmen, die Zuhörerschaft konzentriert zu halten und vor allem ganz viele Aha-Effekte zu erzielen? Andrew Lee hat all das geschafft. „Quo vadis deutsche Wirtschaft: Entwicklungen im Angesicht von Krieg und Krise“ lautete das Thema des ersten Vortrags in diesem Schuljahr im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) widmete sich im vollbesetzten Studiensaal der Schule der gegenwärtigen ökonomischen Situation in Deutschland, er analysierte vor allem ihre Ursachen und gab auch einen vorsichtigen Ausblick in die Zukunft.

Die gewaltige Teuerung der Energie- und Lebensmittelpreise sei gerade die „Top-Angst der Menschen“; 67 Prozent der Deutschen sehen die Inflation als größtes Problem an, unter den jungen Leuten zwischen 14 und 29 Jahren sind es sogar 71 Prozent. „Im Gegensatz zur Finanz- und Wirtschaftskrise merken wir die Inflation alle“, so Lee. Seit Januar 2021 würden die Preise nur eine Richtung kennen: nach oben. Die Verbraucherpreise beim Gas hätten sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. Der Verbraucher zahle jetzt im Schnitt 18 statt 6 Cent für die Kilowattstunde Gas. „Wer da sogar zur festen Mittelschicht gehört und noch eine hohe Hypothek zu bedienen hat, hat echte Sorgen“, meinte der Professor. Ähnlich sieht es mit dem Strompreis aus, der vom Gaspreis deshalb abhängig ist, weil Gaskraftwerke nach dem Einsatz erneuerbarer Energien, Atomkraft und Kohle die dann noch nachgefragte Restmenge bedienen. Und an diesem hohen Preis orientieren sich dann auch die anderen Stromlieferanten.

„Die Inflation frisst die Löhne auf“, sagte Professor Lee, ebenso sei es bei den Zinsen für Spareinlagen. „Was uns Ökonomen nachts den Schlaf raubt, ist die Angst vor der Lohn-Preis-Spirale“, erklärt der Volkswirt. Immer höhere Löhne führten zu immer höheren Preisen. Was macht also der Staat? Er versucht genau das zu verhindern, indem er die Menschen unterstützt, damit starke Lohnerhöhungen nicht notwendig sind: mit dem 9-Euro-Ticket, dem Tankrabatt und den Einmalzahlungen, dem Bürgergeld und der Möglichkeit von steuerfreien Einmalzahlungen durch Arbeitgeber. Der Abwehrschirm, der aktuell vom Staat aufgespannt wurde, umfasst 200 Mrd Euro. „Dazu gehören der Gas- und Strompreisdeckel, die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Energie sowie Hilfen für Unternehmen“, erklärte der Referent. Mit der Gas- und Strompreisbremse sei es der Regierung gelungen, das Dilemma zu lösen, die Menschen einerseits zu entlasten, sie andererseits aber zum Sparen zu bewegen.

Die Ursache der Inflation sieht der Professor nicht im Anstieg der Geldmenge. Vielmehr sei die derzeitige Preissteigerung dadurch verursacht, dass das Angebot knapp ist. Die Pandemie habe die Lieferketten gestört – was sich bis heute auswirke. Darüber hinaus habe es durch die Lockdowns und Schließungen eine Verschiebung der Nachfrage von Dienstleistungen zu Gütern gegeben. „Das hat zu einer riesigen Nachfrage – vor allem nach Chips für Autos, Computer und Zubehör – geführt“, so Lee, der seine Ausführungen immer wieder mit Grafiken veranschaulichte. Die stärkste Auswirkung auf die Preise aber habe der Krieg in der Ukraine: Gas, Erdöl, Weizen, Sonnenblumenöl und Brennholz seien ganz besonders von der Teuerung betroffen. Ein geringeres Angebot trifft auf eine gleichbleibende Nachfrage: Die Preise steigen. Und die Europäische Zentralbank? „Für sie ist diese Situation ganz schwer, weil die Inflation angebotsseitig entstanden ist“, erklärte der Volkswirt. Die Erhöhung des Leitzinses zeige eher den Willen, sich des Problems anzunehmen als die tatsächliche Problemlösung, meinte der Professor sinngemäß. „Die EZB könnte eigentlich auch sagen: Wir warten ab, bis das Angebot wieder steigt“, sie wolle aber Stärke demonstrieren.

Der Referent sieht verhalten optimistisch in die Zukunft. Bei den Lieferketten nähere man sich langsam der Normalität, die Erzeugerpreise seien zumindest im Vergleich zum Vormonat gesunken. Es dauere, bis das bei uns ankomme. Mit Prognosen ist er sehr vorsichtig: „Es gibt da so viele Variablen, so viele Faktoren – Voraussagen sind hochkomplex“. Alles stehe und falle mit dem Gaspreis. Das Angebot, so Lee, steige mit den vielen neuen Anbieter-Ländern, für die das Geschäft lukrativ sei. „Die Nachfrage aber wird durch Einsparungen fallen, sie ist schon gefallen“. Schon jetzt sei der Gas-Verbrauch um insgesamt 30 Prozent gesunken – das milde Wetter schon eingerechnet. Die Menschen hätten ihr Verhalten also bereits verändert. Eine gute Nachricht!

Mit seinem Vortrag versetzte Professor Lee die Zuhörerschaft in die Lage, den Herausforderungen der nächsten Zeit mit einem Rüstzeug an Wissen zu begegnen. Und die Antwort auf die Frage, ob er die 200 Mrd Euro, die der Staat in den nächsten zwei Jahren ausgeben wird, als verhältnismäßig ansehe, war durchaus zuversichtlich: „Es ist gut eingesetztes Geld“, erklärte er, „sozial und industriepolitisch“. (mh)

Vortrag in Präsenz: "Quo vadis deutsche Wirtschaft?"

Wie lässt sich die derzeit hohe Inflationsrate bekämpfen? Ist die Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank sinnvoll? Auf welche Art entlastet der Staat Haushalte und Unternehmen? Und vor allem: Welche Zukunftsszenarien gibt es? „Quo vadis deutsche Wirtschaft? Entwicklungen im Angesicht von Krieg und Krise“ lautet der Titel des nächsten Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“, der am Dienstag, 22. November, um 18 Uhr im Studiensaal des Gymnasiums Neureut stattfindet. Referent ist Professor Dr. Andrew Lee, Hochschullehrer an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Der gebürtige Engländer hat in Basel Wirtschaftswissenschaften studiert, über die Europäische Währungsunion promoviert, an der Universität Basel gelehrt sowie bei der UBS AG gearbeitet. Seit 2009 hat er nun einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der DHBW inne. Sein Forschungsgebiet ist unter anderem der internationale Handel. Die Vortragsreihe „Uni macht Schule“ findet viermal jährlich statt, soll Schülerinnen und Schüler ab Klasse 10 einen Einblick in die Gebiete der Forschung und Lehre an Hochschulen und Universitäten geben und somit ihr Interesse an einem Studium wecken. Auch Gäste sind recht herzlich eingeladen; wir bitten aber um vorherige Anmeldung bei Frau Maisch (mhping@gymneureutpong.de). (mh)

Vorträge im Schuljahr 2021/2022

Ukraine: "Wenn der Krieg sich festfrisst, könnte die Zustimmung bröckeln“

In Zeiten, in denen viele sich die Wahrheit so basteln, wie sie ihnen gefällt und hierbei noch Gleichgesinnte finden, tut evidenzbasierte Wissenschaft not. Das galt und gilt nicht nur für den Umgang mit Corona, sondern jetzt auch für den Blick auf den Krieg in der Ukraine. Die Zahl der Geschichtsmythen, der nicht bewiesenen Behauptungen und rein ethnozentrischen Sichtweisen ist groß. „Ukraine: Von den Ursachen und Begriffen des Krieges“ lautete denn auch der Titel des jüngsten und sehr aktuellen Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Referentin war Dr. habil. Anna Veronika Wendland, Historikerin und Slawistin, die unter anderem in Kiew studiert und lange in der Ukraine geforscht hat und nun am Herder-Institut für Ostmitteleuropaforschung in Marburg arbeitet.

Der ungemein spannende und kurzweilige Vortrag bot zum einen eine komprimierte und erhellende Darstellung der wechselvollen Geschichte der Ukraine, zum anderen aber einen Blick auf die vergangenen Jahre und die jüngsten Ereignisse, auf Putins Aussagen und seine Vorgehensweise. Vor allem aber prüfte Dr. Wendland die Begriffe und Mythen, die im Umlauf sind, auf ihr Kalkül und ihren Wahrheitsgehalt. Beispiel: „Die Ukraine ist ein Nazi“. Dieser Mythos, dass Russland die Ukraine von der Naziherrschaft befreien müsse, ist laut der Historikerin der Tatsache geschuldet, dass seit der Herrschaft Stalins jeder Kritiker als Faschist und Nazi gesehen werde. „Die Ukraine bietet einen Gegenentwurf zu Russland“, erklärte sie. Durch demokratische Institutionen und die Möglichkeit, eine Regierung auch wieder abwählen zu können, sei die Ukraine für Russland gefährlich. Ein tatsächlicher Rechtsextremismus habe sich bei den Wahlen in der Ukraine aber nur weit unterdurchschnittlich gezeigt. Ein weiterer Mythos: Die Ukraine sei ein gespaltenes Land. Das stimme nicht, so Dr. Wendland. In allen Teilen der Ukraine habe Präsident Selenskyj eine überwältigende Zustimmung erhalten. Und selbst in den Gebieten, in denen der Bezug und die Nähe zu Russland größer (gewesen) seien, sei die Zugehörigkeit zum ukrainischen Staat nicht infrage gestellt worden, meinte die Historikerin sinngemäß.  

„Putin negiert die Eigenständigkeit der Ukraine, ihre Kultur, ihre Wissenschaft“,  so die Referentin. Er spreche ihr die Staatsbildungsfähigkeit ab und versuche mittlerweile auch, durch den Krieg Kulturgüter zu vernichten. Interessant sei seine Rechtfertigung in der Kriegsrede vom 21. Februar. „Hier wirft er das Erbe der Sowjetunion auf den Müll“, betont sie. Die Ukraine, so habe Putin in dieser Rede gesagt, sei erst in der Sowjetunion – als Sowjetrepublik – entstanden und das sei laut dem Präsidenten ein großer Fehler gewesen. Dabei geht der Begriff „Ukraina“ mit der Bedeutung „Grenzland“ bereits auf das 12. und 13. Jahrhundert zurück. Mit der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert gingen dann neue Impulse zur Durchsetzung der Begriffe Ukraine und Ukrainer – für Staat, Volk und Sprache – aus.

Putin, so Dr. Wendland, habe wohl damit gerechnet, dass sich die gesamte Ukraine leicht erobern lasse. „Eine Fehleinschätzung“, so die 56jährige. „Er hat nicht mit diesem erbitterten Widerstand gerechnet“. Daraufhin habe er seine Propaganda verändert, indem er jetzt behaupte, es sei gar nicht die Ukraine, die hier kämpfe, sondern der Westen mit der NATO. „Die russische Propaganda, es handle sich um einen Stellvertreterkrieg der USA und der NATO gegen Russland, lässt sich durch Fakten nicht erhärten“, so die Referentin. Im Gegenteil habe der Westen – Dr. Wendland nennt hier Obama als Beispiel – wenig Interesse an Osteuropa gezeigt. Ein Fehler des Westens sei es gewesen, einerseits durch das Assoziierungsabkommen mit der EU 2014 das Signal an die Ukraine zu senden: „Ihr gehört zu uns“, andererseits aber keine Sicherheitsgarantien abzugeben. „Das hat Moskau ermutigt, so stark zu intervenieren“.

Wie wird es weitergehen? Auf die Frage eines Schülers nach den Folgen für die russische Innenpolitik meinte die Referentin: „Wenn der Krieg sich festfrisst, könnte die Zustimmung bröckeln“.  Sollten die ersten Moskauer Mittelschichtskinder in Zinksärgen zurückkommen, würde die Meinung vieler Russen sich verändern. Im Augenblick noch rekrutiere Russland vor allem junge Männer aus den unteren Schichten der Gesellschaft und aus weit abgelegenen Gebieten. Auf der einen Seite könnte es sein, dass Putin aufgrund des starken Gegners an den Verhandlungstisch gezwungen würde. Pessimisten aber warnten davor, dass der russische Präsident die „atomare Karte“ ziehen könnte, wenn er verliert. Putin habe immer schon mit zynischer Brutalität regiert und auch die eigenen Leute nicht geschont, so Dr. Wendland. Das Verhältnis der beiden Länder sei, unabhängig davon, wie es weitergeht, auf Jahre zerstört. Mit den Gräueltaten, der Erschießung, der Folter und Vergewaltigung von Zivilisten durch russische Soldaten habe kaum einer gerechnet. „Die meisten Ukrainer haben gedacht“, so  die Historikerin, „so etwas machen die Russen nicht“. (mh)

„Uni macht Schule“: Von den Ursachen und Begriffen des Krieges      

„Ukraine: Von den Ursachen und Begriffen des Krieges“ lautet der Titel des nächsten Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“, der am Freitag, 24. Juni, um 18 Uhr online stattfindet. Referentin ist die Osteuropa- und Technikhistorikerin Dr. habil. Anna Veronika Wendland.

Kein Krieg ohne historische Wurzeln – und kein Konflikt ohne Versuche der beteiligten Akteure, das eigene Handeln mit historischen Argumenten zu rechtfertigen. Dies ist beim Ukraine-Krieg in besonderem Maße der Fall. Begrifflichkeiten wie „Angriffskrieg“ oder „Spezialoperation“, „Stellvertreterkrieg“ oder „eskalierter Bürgerkrieg“ spiegeln auch immer die Position und die Interessen der Sprechenden. Die Begriffe des Krieges können Zusammenhänge erklären und einordnen, aber auch verschleiern, verzerren und mythisieren. Außenstehende brauchen also Orientierungswissen zur Einordnung.

Die historische Einordnung erleichtert überdies, die Ursachen, nicht nur die Anlässe von Kriegen, zu erkennen. Dieses Wissen ist auch für das Erarbeiten von Konfliktlösungen von hohem Wert, denn es schützt vor Fehleinschätzungen. Was muss man also über die ukrainische Geschichte wissen, um die heutige Ukraine zu verstehen, aber auch die Gründe des russischen Angriffs zu benennen? Welches Wissen ist unerlässlich, um Geschichtsmythen zu erkennen? Diese Fragen wird der Vortrag versuchen zu beantworten.

Dr. Wendland hat in Köln und Kiew studiert, in Köln bei Andreas Kappeler ihre Doktorarbeit geschrieben und arbeitet nach beruflichen Stationen in Leipzig und München am Marburger Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, einem Institut der Leibniz-Gemeinschaft. Zu ihren Forschungsgebieten zählen Nationalismusforschung, Stadt-, Technik- und Umweltgeschichte. Wendland hat eine Habilitationsschrift zur Geschichte und Gegenwart der Kernenergietechnik in Osteuropa und Deutschland geschrieben und zu diesem Zweck auch lange in einem ukrainischen Atomkraftwerk geforscht. (mh)

"Uni macht Schule" zum Lehramt: „Vielfältig und gesellschaftlich wichtig“

Was ist das Besondere an einem Studium an der Pädagogischen Hochschule (PH)?  „Es besteht eine enge Verknüpfung von Theorie, Empirie und Praxis“, erzählt Professor Dr. Christian Gleser, Prorektor der PH Karlsruhe. Die fachwissenschaftliche und die fachdidaktische Ausbildung seien eng verzahnt. „Hat ein Lehramtsstudium Zukunft?“ lautete der Titel des jüngsten Vortrags, der im Rahmen von „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut nochmals online stattfand. Erstmals ging es bei der Veranstaltung, bei der mehr als 50 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte mit von der Partie waren, nicht um ein Thema aus Forschung oder Lehre, sondern um das Studium an sich, um Inhalte, Voraussetzungen und Chancen. Ein besonderes Charakteristikum der PH ist auch, dass es sie nur noch in Baden-Württemberg gibt, dass sie also einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft ist. Während in anderen Bundesländern Studierende aller Lehrämter – von der Grundschule über die Sekundarstufe I, die Sonderpädagogik bis hin zum gymnasialen Lehramt – an Universitäten studieren, gibt es in Baden-Württemberg noch die Trennung zwischen PH und Universität. Das Grundschullehramt, die Sekundarstufe I und die Sonderpädagogik werden an den Pädagogischen Hochschulen unterrichtet, das gymnasiale Lehramt an den Universitäten. Neben dem Standort Karlsruhe gibt es auch Pädagogische Hochschulen in Freiburg, Weingarten, Heidelberg und Ludwigsburg.

Allenthalben ist zu hören und zu lesen, dass ein Mangel an Lehrkräften herrscht, insbesondere an Grundschulen, aber auch in der Sekundarstufe I, also an Haupt- und Werkrealschulen, an Realschulen sowie an Förderschulen. Die politisch Verantwortlichen hätten den Bedarf falsch eingeschätzt, so Professor Gleser, die Zahl der Geburten steige seit einigen Jahren wieder und auch durch eine gestiegene Zahl an Migranten bedarf es einer größeren Anzahl an Lehrkräften.

Etwa 300 Studienplätze sind an der PH Karlsruhe jährlich zum Wintersemester zu vergeben – davon 60 für das Europalehramt, das einen Schwerpunkt auf die Sprachen Englisch oder Französisch legt, ein Auslandssemester vorsieht und die Studierenden dazu befähigt, ein Fach bilingual zu unterrichten. 1500 Bewerberinnen und Bewerber stünden den 300 Plätzen gegenüber, erzählt Professor Gleser. „Bei der Auswahl steht die Abiturnote sowie Nachweise über ein besonderes Engagement – zum Beispiel als Jugendtrainer oder im Rahmen eines FSJ – im Mittelpunkt“, so der Referent. Auch eine berufliche Ausbildung oder besondere Qualifikationen sind gerne gesehen. Bei einigen Fächern ist der Bedarf an Lehrkräften besonders groß: Chemie, Physik, Technik, Informatik, Religion, Musik oder Kunst. Für diese Fächer ist es einfacher, einen Studienplatz zu bekommen. Unabhängig davon, welches Lehramt man an der PH studiert, liegt der Schwerpunkt neben der Fachwissenschaft auf den Bildungswissenschaften und den Schulpraktischen Studien. Beim Grundschullehramt ist ein Orientierungspraktikum sowie ein integriertes Semesterpraktikum Pflicht. Die Studierenden hospitieren in Schulen, dürfen und sollen dann auch unter Anleitung bereits unterrichten. „Bei diesen Praktika zeigt sich: Fühle ich mich wohl? Kann ich mit den Kindern umgehen? Fühle ich mich dem gewachsen?“, so Professor Gleser. Bei den Studierenden der Sekundarstufe I findet das Praktikum erst im zweiten Abschnitt des Studiums – während des Master-Studiums – statt.  Für detaillierte Informationen, auch zu den einzelnen Studienfächern, verweist Professor Gleser auf den Studieninformationstag an der PH, der am Samstag, 21. Mai, ab 10 Uhr stattfindet. Und: Das Studienservicezentrum böte für Interessenten eine persönliche Beratung (ssz.helpdesk@vw.ph-karlsruhe.de).

Die Chancen nach dem Studium seien schon allein wegen der demographischen Entwicklung sehr gut, so Professor Gleser. „Es ist eine Arbeit mit akademischem Hintergrund, die gesamtgesellschaftlich wichtig ist“, betont der Referent. Sie sei vielfältig und biete auch Karrierechancen – in der Schulverwaltung, in der Lehrerbildung oder in der Schulleitung. „Ein Vorteil ist auch, dass man schon während des Studiums weiß, wo man später arbeitet“, sagt Christian Gleser. Und: Man werde im Vorbereitungsdienst – also nach dem Studium – in der Regel bereits verbeamtet und bezahlt. Die künftigen Lehrkräfte würden von der Hochschule gerüstet für die Herausforderungen ihrer Arbeit – für Heterogenität, Diversität und Inklusion beispielsweise. Auch wenn an den Pädagogischen Hochschulen der Praxisbezug bereits eine große Rolle spielt, so würde sich Professor Gleser für die Zukunft hiervon noch mehr wünschen: „Ich könnte mir eine Art duale Lehrerausbildung vorstellen“, erklärt er, „mit einem Wechsel zwischen drei Monaten Hochschule und drei Monaten Schule“. (mh)

Uni macht Schule: Hat ein Lehramtsstudium Zukunft?

„Hat ein Lehramtsstudium Zukunft?“ lautet der Titel des nächsten Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ des Gymnasiums Neureut, der am Donnerstag, 12. Mai, um 20 Uhr online stattfindet. Referent ist Professor Dr. Christian Gleser, Prorektor an der Pädagogischen Hochschule (PH) Karlsruhe. Erstmals wird es bei der Veranstaltung explizit um das Studium an sich gehen und nicht um ein Fachthema der Forschung oder Lehre. Welche Möglichkeiten des Studiums bietet die PH? Worauf kommt es im Lehramtsstudium an? Welche Zukunft und welche Aufstiegsmöglichkeiten hat der Beruf? Diese und weitere Fragen wird Professor Gleser beleuchten. Während in anderen Bundesländern alle Lehramtsstudiengänge an der Universität stattfinden, hat Baden-Württemberg noch die Einteilung in das Lehramt für das Gymnasium, das an der Universität absolviert wird, und das Lehramt für Grundschulen sowie für alle anderen weiterführenden Schulen, das an den Pädagogischen Hochschulen angeboten wird. In Karlsruhe gibt es die Möglichkeiten für das Lehramtsstudium an Grundschulen sowie für die Sekundarstufe I aller anderen weiterführenden Schulen – also Hauptschule, Realschule, Gemeinschaftsschule und Werkrealschule. Sonderpädagogik bieten dagegen die Pädagogischen Hochschulen in Ludwigsburg und Heidelberg an.

Professor Gleser ist Diplom-Sozialwissenschaftler; er studierte in Wuppertal und hat nach dem Studium zunächst in einer Marketingagentur gearbeitet. An der Ruhr-Universität Bochum begann er seine Hochschullaufbahn im Fachgebiet Pädagogische Psychologie. Nach der Promotion in Bochum erhielt er für zwei Jahre eine Vertretungsprofessur für Grundschulpädagogik an der Universität in Paderborn, bevor er 2011 Professor für Schulpädagogik mit Schwerpunkt Grundschule an der PH Karlsruhe wurde. Mittlerweile ist der 57jährige Prorektor für Forschung und Lehre. (mh)

Uni macht Schule: "Gründer können die Welt verändern"

Kreativ, fleißig, fit und selbstorganisiert sollte man sein, Durchhaltevermögen besitzen und zunächst einmal einen bescheidenen Lebensstil haben. Nicht zuletzt darf man dem Sicherheitsaspekt in seinem Leben nicht die größte Bedeutung zumessen. Und wenn man alle diese Eigenschaften mitbringt? Dann könnte man seine eigene kleine Firma aufbauen und „organisieren, dranbleiben, machen“, wie Dr. Max Völkel betont. Der Informatiker muss es wissen, denn er leitet mittlerweile die dritte Firma, die er selbst gegründet hat. Und ein neues Start-up ist in Planung.

„Start-up, Gründung, Selbstständigkeit“ lautete der Titel der jüngsten Vortragsveranstaltung im Rahmen von „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Dr. Max Völkel ist zweifellos nicht der typische Referent in dieser Reihe, zu der in der Regel Dozentinnen und Dozenten von Hochschulen eingeladen werden, die die Schülerinnen und Schüler mit einem Vortrag über ihr Fachgebiet für ein Studium begeistern sollen. Aber für den Wunsch vieler Schüler, endlich einmal wieder ein Thema aus dem Bereich Wirtschaft zu behandeln, war der Abend mit Dr. Völkel perfekt. Er hat promoviert, am KIT Entrepreneurship gelehrt und schon zahlreiche Erfahrungen mit Gründungen, aber auch mit dem Scheitern gemacht. Entsprechend spannend war die Verknüpfung von Theorie und Praxis in dem lockeren „Kamingespräch“, wie der Referent den Austausch nannte. Das Interesse an dem interaktiv gestalteten Online-Vortrag war groß: Fast 80 Schülerinnen und Schüler waren mit von der Partie – einige von ihnen tragen sich mit dem Gedanken einer Firmengründung oder sind schon mittendrin.

„Eine Geschäftsidee allein reicht nicht“, betonte Dr. Völkel, „ich brauche ein Modell“.  Hierzu gehört zunächst die Suche nach dem Customer Segment, der Zielgruppe, die das Produkt oder die Dienstleistung erreichen soll. Dann stellt sich die Frage nach dem Problem oder dem Bedürfnis dieser Zielgruppe, das mit dem Produkt gelöst oder befriedigt werden soll. Über welchen Kanal – „viable channel“ – kann man am effektivsten auf sein Produkt aufmerksam machen? Das ist die nächste Frage, die sich stellt. Und schließlich: Welche Möglichkeiten der Monetarisierung gibt es? Soll das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung einmalig oder im Abo verkauft oder nur ausgeliehen werden? Mit der Abarbeitung dieser Pyramide, so Dr. Völkel, minimiere man die Risiken. Vor der Gründung seien zwei Dinge enorm wichtig: einen Prototypen des Produkts oder der Dienstleistung zu haben und mit sehr vielen Menschen Kontakt zu haben, um von ihnen ein ehrliches Feedback zu erhalten. „Erst in dieser Phase kommen Risikokapitalgeber rein“, erzählte Völkel.

Überhaupt ist die Finanzierung eines Start-ups oder einer Gründung eine sehr grundsätzliche und wichtige Frage. Dass Investoren ins Boot kommen, sei eher selten, so der Referent. Außer bei sehr technologielastigen Unternehmen. Für eine Investor-Finanzierung müsse zunächst einmal bewiesen sein, dass es Kunden gibt. „Wer finanziert also?“, so die Frage einer Schülerin. „Du, family, friends and fools“, meinte Völkel. Deshalb hält es der 43-jährige auch für wichtig, Ideen für Gründungen früh umzusetzen. Man sollte in der Lage sein, vieles nebenher zu machen. Dafür böte sich die Schulzeit, vor allem aber die Zeit an der Hochschule an. Hier lerne man viele Leute kennen und knüpfe Netzwerke. Auch habe man nicht so hohe Ansprüche und brauche nicht viel Geld. „Wenn man einmal Kinder hat, bietet eine Gründung erstmal keine finanzielle Sicherheit“, so seine Einschätzung. Auch hält er es für wichtig, eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen zu haben. „Ich wusste nach meinem Informatik-Studium, dass ich im Falle eines Scheiterns auch anderswo einen Job bekommen würde“.  Das Scheitern, so sagt er auch, sei heute in Deutschland nicht mehr mit so einem großen Stigma belastet. „Gestaltertypen“, so sagt er, „sind mittlerweile als Intrapreneure in Firmen gerne gesehen“.

Was sind die Branchen der Zukunft? Wo könnte eine Gründung – oder besser noch ein Start-up – zum Erfolg führen? „Es gibt die Mega-Trends des 21. Jahrhunderts: die Alterung der Gesellschaft und das Internet“, meint Dr. Völkel. Er sieht Chancen bei der Software und im IT-Bereich, in der Bio-Technologie und bei den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Aber auch in vielen anderen Bereichen, wo Bedürfnisse oder Probleme auftauchen.  Wer etwas Mut mitbringt und mit dem Geschäftsmodell seine Risiken minimiert, kann Erfolg haben. Was eine Gründung aber auf jeden Fall mit sich bringt, ist eine „immense Freiheit“, so Völkel. Und: „Gründer können die Welt verändern“. (mh)

Uni macht Schule: "Gründung, Start-up, Selbstständigkeit"

„Gründung, Start-up, Selbstständigkeit“ lautet der Titel des nächsten Vortrags im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“, der am Freitag, 28. Januar, um 18 Uhr online am Gymnasium Neureut stattfindet. Referent ist Dr. Max Völkel, der selbst schon viele Erfahrungen mit Gründungen und Start-ups gemacht hat. Der promovierte Informatiker arbeitete als Dozent für Entrepreneurship am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), war als IT-Berater tätig und hat für die EnBW Software entwickelt. Darüber hinaus erhielt er ein Gründer-Stipendium und machte sich bereits mit mehreren Firmen selbstständig – im Augenblick leitet er die IT-Beratung Dr. Max Völkel und hat für das Jahr 2022 schon Ideen für ein neues Start-up.

In seinem Vortrag wird der Referent darüber sprechen, wie man zunächst einmal eine gute Geschäftsidee finden kann. Mit welchen Herausforderungen haben Gründerinnen und Gründer dann zu rechnen? Wer finanziert ein Start-up? Was passiert, wenn die Firma scheitert? Auf diese und viele weitere Aspekte wird Dr. Völkel eingehen und natürlich über seine eigenen Erfahrungen und Ideen berichten. Daneben soll viel Zeit bleiben für die Fragen der Schülerinnen und Schüler.

Seit 2007 gibt es am Gymnasium Neureut die Vortragsreihe „Uni macht Schule“, die Einblick gibt in verschiedene Forschungs- und Lehrbereiche von Hochschulen sowie in die Berufe, die mit diesen Studiengängen einhergehen. Bei Schülerinnen und Schülern ab Klasse 10 soll so das Interesse an einem Studium geweckt werden. (mh)

Klimaerwärmung: „Wenn wir so weitermachen: Game over!“

Schaffen wir es noch, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen? Frank Schilling zeigt sich vorsichtig optimistisch. Gleichwohl macht er deutlich, dass dies „ein Marathonlauf“ werde und dass ebenso wie die Reduktion von CO2 auch die Energieversorgungssicherheit und die Umweltverträglichkeit im Fokus stehen müssten. Und: „Wir werden sehr viele Technologien nutzen müssen“, betonte der Dekan der Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften, Professor für Technische Petrophysik und Leiter des Landesforschungszentrums Geothermie.

„Klimaerwärmung – Was können wir tun?“ lautete der Titel seines Vortrags, der am Gymnasium Neureut im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ online stattfand. Das Interesse an der Veranstaltung, die Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse die Bandbreite der Forschungsbereiche an Hochschulen zeigen und sie für ein Studium begeistern soll, war groß: Fast 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen an dem Webinar teil.  

Frank Schilling forscht und lehrt insbesondere im Bereich der Geothermie – also der Energiegewinnung aus Erdwärme – im Bereich von unterirdischen Speichern, der Wasserkraft und zu Fragen der Endlagerung. Und so lag der Schwerpunkt seines Vortrags auf dem Beitrag dieser Technologien im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Gleichwohl beschäftigt sich der engagierte 58jährige auch mit anderen Möglichkeiten, den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen im Umfeld der Klimaerwärmung Herr zu werden. Beim Blick auf eine globale Klimakarte betonte er: „Eine Erwärmung von global durchschnittlich 2 Grad bedeutet auf dem Kontinent 4 Grad, weil die Ozeane sich weniger erhitzen“. Die Verbrennung von Kohle und Öl, das Abholzen der Wälder, das Trockenlegen von Mooren – all das habe seit der industriellen Revolution zu einem Ausstoß von 2000 Milliarden Tonnen CO2 geführt. „Wir müssen möglichst schnell auf andere Energien umsteigen. Wichtig ist aber auch, Energie einzusparen und Land aufzuforsten“.  Was dann noch an überschüssigem und für die Erderwärmung verantwortlichem CO2 übrig ist, könne im Untergrund gespeichert werden. „Was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher?“, fragt Frank Schilling und gibt eine drastische Antwort: „Game over!“

Dass das Handeln gegen die Erwärmung der Atmosphäre gleichwohl nicht einfach ist, machte der Experte an mehreren Beispielen deutlich. Da die Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme auch eine hohe Priorität habe, könne man sich nicht vollständig auf Windkraft oder Photovoltaik verlassen. „Wenn die Energiewende mit fluktuierenden Energiewandlern gelingen soll, benötigen wir große Speicher für Gas und Wärme und enorme Energiemengen, um Kohle, Öl und Erdgas zu ersetzen“, so die Hypothese des Professors. Sowohl die Speicherung von Gas, Wärme, Wasserstoff oder CO2 als auch die Herstellung von erneuerbaren Energien durch Geothermie, Wasserkraft oder Windenergie haben in der Regel auch gewisse negative Nebenwirkungen. So bräuchte es beispielsweise für die Technologien der erneuerbaren Energien große Mengen an Rohstoffen und ihre Bestandteile müssten nach dem Gebrauch entsorgt oder eingelagert werden. Wasserkraft bringe wiederum Umweltschäden mit sich. Und die Erdwärmesonden der Geothermie, die ein gewaltigen Energiepotenzial habe, könnten Auswirkungen auf das Grundwasser und in sehr selten Fällen auch seismologische Folgen haben. Die Energiewende, so das Fazit von Frank Schilling, sei nicht mit einer Technologie allein zu stemmen. „Wir müssen verschiedene Wege gehen und das ausbalancieren“, betonte er. Enorm wichtig seien hier auch technologische Weiterentwicklungen, die die Nebenwirkungen der Energiegewinnung so gering wie möglich hielten.  So lautete sein Appell an alle Schülerinnen und Schülern: „Studiert eine Ingenieurwissenschaft!“. So könnten sie an neuen Technologien mitwirken.

Und was kann der Einzelne tun, um der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten? Auch hierfür hat der Professor Ideen: Mindestens 75 Prozent der Mahlzeiten sollten vegan oder zumindest vegetarisch sein, man sollte Heizwärme sparen und lieber einen Pullover mehr anziehen. „Wenn wir die Klimaerwärmung nicht in den Griff kriegen“, betonte er, „verlieren wir 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes“. Egal, welche Parteien zukünftig regierten – sie alle müssten sich dieser Herausforderung stellen. Hierfür bedürfe es vor allem auch junger Leute. Und so riet er den Schülerinnen und Schülern: „Werdet politisch aktiv!“ (mh)

„Uni macht Schule“ zur Klimaerwärmung: Fakten und Optionen

„Klimaerwärmung – was können wir tun?“ heißt der nächste Vortrag unserer Reihe „Uni macht Schule“, der am Donnerstag, 18. November, um 18 Uhr online stattfindet. Die Veranstaltung, die vier Mal jährlich angeboten wird, soll Schülerinnen und Schüler der Oberstufe mit verschiedenen spannenden Themen aus Hochschulen vertraut machen und sie für ein Studium begeistern.

Als Referenten konnten wir für den ersten Vortrag in diesem Schuljahr Professor Dr. Frank Schilling gewinnen, der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Dekan der Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften sowie Leiter des Landesforschungszentrums Geothermie ist.

Nach dem Studium der Mineralogie und Geologie und der Promotion in Tübingen hat sich Frank Schilling an der Freien Universität Berlin habilitiert und dort auch gelehrt. Nach Stationen in Illinois in den USA und am Geo-Forschungs-Zentrum (GFZ) in Potsdam erhielt er 2009 einen Ruf ans KIT und lehrt seither am Institut für Technische Petrophysik.

Viele Jahre hat sich Professor Schilling mit Hochleistungskeramiken sowie mit den Eigenschaften von Mineralen beschäftigt. Am GFZ Potsdam forschte er zu den Eigenschaften von Mineralen bei extremen Bedingungen. Als Projektverantwortlicher entwickelte und baute er den ersten Speicher für CO2-Emissionen in der EU. Der Schwerpunkt seiner Forschung am KIT, einem der größten Umweltforschungszentren in Deutschland, ist die nachhaltige Nutzung des Untergrundes – Petrophysik ist Gesteinsphysik. Er beschäftigt sich mit Untertage-Gasspeicher, mit Fragen zur Endlagerung, mit Geothermie und Wasserkraft.

Sein Vortrag wird sich zunächst der grundsätzlichen Herausforderung der Energiewende vor dem Hintergrund der Erderwärmung zuwenden. Dabei sollen die Aussagen verschiedener Klimaaktivistinnen und Aktivisten sowie Klimaforscher eine Rolle spielen. Professor Schilling wird aufzeigen, warum es so wichtig ist, dass Handeln auf Fakten basiert. Er wird sich mit den Konsequenzen der Klimaerwärmung im Allgemeinen und in Karlsruhe im Speziellen beschäftigen und sodann Optionen für unser Handeln aufzeigen. Anschließend steht er sehr gerne für Fragen zur Verfügung. (mh)

Vorträge im aktuellen Schuljahr 2020/2021

Depressionen: Einfluss nehmen auf das Denken, Fühlen und Handeln

Bis heute kennt man die genauen Ursachen der Depression nicht. Aber: „Um zu helfen, müssen wir das auch nicht genau wissen“, sagt Professor Dr. Martin Hautzinger. Es gehe darum, Einfluss zu nehmen auf das Denken, das Fühlen und das Handeln. „Wenn negative Lebensereignisse und Belastungen auf ein vulnerables Selbstsystem treffen, kann es zu einer Depression kommen“, so der Senior-Professor für Psychologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. So spricht er lieber von prädisponierenden Faktoren als von Ursachen, wenn er sagt, dass es tendenziell eher Frauen sind und dass Menschen mit niedrigerem sozialem Status häufiger betroffen sind. Armut, so Hautzinger, sei eine der entscheidenden Ursachen. Aber eben nur eine von vielen.

„Depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter“ lautete der Titel des Vortrags, den Professor Hautzinger im Rahmen der Vortragsreihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut hielt. Ohne zu zögern hatte der Experte für Depressionen und Bipolare Störungen sowie für Interventionsforschung auf die Frage, ob er am Gymnasium Neureut einen Vortrag halten könne, zugesagt. Die Veranstaltung, die Schülerinnen und Schülern ab der 10. Klasse Einblick in die Forschungsbereiche von Hochschulen geben und bei ihnen das Interesse an einem Studium wecken soll, fand nunmehr das zweite Mal online als Webinar statt. Mehr als 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dabei, als der rührige und freundliche Professor spannend und durchweg auch für Jugendliche verständlich über dieses aktuelle Thema referierte. Wie zeigt sich eine Depression? Welche Faktoren gibt es, die sie begünstigen? Vor allem aber: Welche Möglichkeiten der Prävention und Behandlung gibt es? Mit all diesen Fragen beschäftigte sich Professor Hautzinger.

Die Symptome einer Depression sind vielfältig. So fühlten sich Betroffene über längere Zeit antriebslos, traurig, hilflos und lustlos. Es fehlt an Selbstbewusstsein und Freude. Manche seien auch nervös und gefangen in negativen Gedanken. Gerade bei Kindern und Jugendlichen sei die Diagnose nicht so einfach, da die Pubertät zeitweise mit ähnlichen Symptomen einhergehe. Eltern bemerkten bei ihren Kindern die Depression oft nicht. „Depressive Kinder werden häufig übersehen“, so Martin Hautzinger. „Sie schweigen, sie stören niemanden“. Bei Jugendlichen seien Freundinnen und Freunde bessere Beobachter als die Eltern.

Der Experte veranschaulichte, dass es hinsichtlich der Ursachen biologische, soziologische, demographische, persönlichkeits- und sozialisationsbedingte Faktoren gibt. Eine erbliche Veranlagung kann ebenso eine Rolle spielen wie Persönlichkeitsmerkmale, aber natürlich auch traumatische Erlebnisse oder hirnphysiologische Besonderheiten. Armut, Arbeitslosigkeit und ein Dasein als Hausfrau mit kleinen Kindern seien häufig anzutreffende Merkmale.

Die Depression wirkt sich körperlich, motivational, emotional, kognitiv und im Denken aus. Professor Hautzinger lenkte den Blick der Zuhörerinnen und Zuhörer vor allem auf das Dreieck aus Denken, Gefühlen und Handeln. Er machte deutlich, dass die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) beim Zusammenspiel zwischen diesen drei Bereichen des menschlichen Befindens Einfluss zu nehmen versucht. Warum? Im Zusammenspiel zwischen dem Denken, dem Fühlen und dem Handeln kann es eine Abwärts-, aber eben auch eine Aufwärtsspirale geben. So kann negatives Denken über die eigene Person oder auch die Umwelt zu negativen Gefühlen wie Traurigkeit und Hilflosigkeit führen. Diese Emotionen wiederum führen zu einem bestimmten Handeln – bei Depressionen oft Rückzug, Schweigen, mangelnde Aktivität. Mit der Kognitiven Verhaltenstherapie versuchen die Therapeutinnen und Therapeuten nun diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Sie stärken die Patienten, indem sie durch die Arbeit an den Bereichen des Dreiecks die anderen Bereiche jeweils positiv beeinflussen. So wird die Selbstsicherheit trainiert, dysfunktionale Gedanken aufgestöbert und Aktivitäten gefördert. Stimmungstagebücher und Comics helfen den Patientinnen und Patienten, negative Gedanken und Gefühle zu entdecken und an ihnen zu arbeiten. Dass diese Art der Therapie wirkt, machte der Referent mit Hilfe mehrerer Studien deutlich. „Mit einer Therapie verändern wir auch unser Gehirn“, so der Experte. „Verkümmerte Synapsen werden wieder aktiviert“.

Doch nicht nur therapeutisch lässt sich viel tun, auch präventiv gibt es Möglichkeiten, damit es erst gar nicht zu einer Depression kommt. „Go!“ heißt eines der Programme, die Professor Hautzinger vorstellte. Das acht Sitzungen mit jeweils 90 Minuten dauernde Programm beugt Ängsten und depressiven Tendenzen vor und zeigt den Jugendlichen Strategien auf, wie sie mit Stress umgehen und mit Hilfe von Aktivitäten gesund bleiben können. Ein spezielles Programm für 8. Klassen aller Schularten, das Professor Hautzinger mit Kolleginnen entwickelt hat und welches das Land Baden-Württemberg im Rahmen von „stark.stärker.WIR“ unterstützt, heißt „Lebenslust mit Lars und Lisa“. In zehn Doppelstunden werden hier in nach Geschlechtern getrennten Gruppen persönliche Ziele formuliert, der Zusammenhang zwischen Denken, Fühlen und Handeln gezeigt, das Selbstbewusstsein trainiert und alltägliche und soziale Fertigkeiten geübt. „Dieses Programm kommt gut an“, so Hautzinger. Es zeige beeindruckende Effekte auf die Verhinderung der depressiven Symptomatik. Überhaupt ist der Professor durchaus optimistisch: Die Depression selbst zeige zwar ein kompliziertes Bild. „Es gibt aber tolle Möglichkeiten zu schützen und zu helfen“. (mh)

Professor Hautzinger hat die Folien seines Vortrags zur Verfügung gestellt. Wer Interesse daran hat, kann sich bei Antje Maisch unter mhping@gymneureutpong.de melden.

Depressionen bei Kindern: Ursachen, Symptome, Behandlungsmöglichkeiten

Von einer „deutlichen Zunahme an Depressionen oder Angstzuständen bei Kindern und Jugendlichen“ schreibt das Deutsche Ärzteblatt und bezieht sich dabei auf eine Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusam­men­arbeit und Entwicklung). Die Zunahme, so heißt es da, sei auf die Pandemie zurückzuführen – auf Einsamkeit, Unsicherheit und Zukunftsängste. Aber unabhängig davon, ob die Coronakrise Auslöser für Niedergeschlagenheit oder Ängste ist: Wie lässt sich eine Depression im Kinder- und Jugendalter überhaupt erkennen? Wie lässt sie sich von Stimmungsschwankungen abgrenzen? Welche Ursachen und Risikofaktoren gibt es?

Mit all diesen Fragen wird sich Professor Dr. Martin Hautzinger im nächsten Vortrag der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut beschäftigen. Sie trägt den Titel „Depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter“ und findet am Dienstag, 29. Juni, als Webinar statt. Professor Hautzinger ist Seniorprofessor für Psychologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Nach Stationen in Bochum, Berlin, Konstanz, Mainz und im US-amerikanischen Eugene leitete er bis 2019 den Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie am Fachbereich Psychologie der Universität Tübingen. Er ist Experte für Interventionsforschung (Psychotherapie, Prävention), Depressionen und Bipolare Störungen in verschiedenen Alters- und Zielgruppen, für Angststörungen, Alkoholabhängigkeit und Posttraumatische Belastungsstörungen. Professor Hautzinger ist Mitglied und im Vorstand zahlreicher Institute und Kliniken, unter anderem ist er Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Depressionshilfe und gehört zu den Gründern der Fliednerkliniken – Tageskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie. Derzeit baut er im Nord-Irak eine Klinik und den Ausbildungsgang „Psychotraumatologie und Psychotherapie“ auf.

In seinem Vortrag wird es der Wissenschaftler nicht bei den Ursachen und Symptomen psychischer Krankheiten belassen. Wie lassen sie sich vorbeugen und behandeln? Auch dieser Frage wird Professor Hautzinger nachgehen.

Viermal jährlich gibt die Vortragsreihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut Zehntklässlern und der Oberstufe Einblick in verschiedene Lehr- und Forschungsbereiche von Hochschulen, um das Ineresse an einem Studium zu wecken. Wie auch beim letzten Mal muss die Veranstaltung pandemiebedingt online stattfinden. (mh)

Politische Bildung: Mit Planspielen der Verdrossenheit entgegenwirken

Das Interesse für die Europäische Union, so schrieb die Süddeutsche Zeitung jüngst in ihrem Feuilleton, sei extrem gering – und das, obwohl der Staatenverbund so viel Einfluss auf unser Leben habe. Bei den wenigen Interessierten aber wecke die EU vor allem negative Assoziationen. „Das stimmt so nicht“, widerspricht Monika Oberle. Seit vielen Jahren forscht die Professorin für Politikwissenschaft und ihre Didaktik zur politischen Bildung von Bürgerinnen und Bürgern – vor allem von Jugendlichen. Die Resultate empirischer Studien liefern ein anderes Bild: „Nur eine kleine Gruppe interessiert sich wirklich gar nicht für die EU“, erläutert die Politikwissenschaftlerin, die einen Lehrstuhl an der Universität Göttingen innehat. Mehr als 60 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahre hätten eine positive oder gar sehr positive Meinung von der Union. Vor allem die Freizügigkeit des Reisens, Arbeitens und Studierens, kulturelle Vielfalt, Frieden und Demokratie verbinden die jungen Leute mit der EU. „Politische EU-Bildung – Ziele, Herausforderungen und vielversprechende Ansätze“ war auch der Titel ihres Vortrags, den die Professorin im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut hielt. Erstmals fand die Veranstaltung – aufgrund der Pandemie – online statt. Das Interesse war groß: Knapp 60 Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen sowie der Oberstufe waren bei dem Webinar mit von der Partie.

Monika Oberle machte deutlich, dass Politische Bildung Verfassungsrang hat und Demokratie gelernt werden muss. Die Demokratiebildung habe in der Kultusministerkonferenz in den vergangenen Jahren nochmals besondere Aufmerksamkeit erfahren. Politikbildung sei zwar der Auftrag der Schule, gleichzeitig aber dürfe keine Überwältigung der Schülerinnen und Schüler stattfinden. „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden“, erklärte die Professorin den sogenannten Beutelsbacher Konsens. Nichtsdestotrotz sei politische Bildung keinesfalls neutral, wenn es darum gehe, ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit ihrem Pluralismus und der Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln. Politische Bildung ziele auf Politikkompetenz, was Fachwissen, Urteilsfähigkeit, politische Einstellungen und Handlungsfähigkeit gleichermaßen umfasse. Besonders wichtig sei das Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Responsivität. Wer den Eindruck hat, etwas bewirken zu können und von Entscheidungsträgern gehört zu werden, hat mehr Vertrauen in die Demokratie und beteiligt sich auch mehr.

Ob politische Bildung allgemein oder EU-Bildung im Spezifischen: „Auf den Lehrer und die Lehrerin kommt es an!“, so Oberle. In den meisten Bundesländern unterrichteten aber noch immer sehr viele Lehrkräfte fachfremd Politik, was die Wissenschaftlerin als Herausforderung sieht. Hinsichtlich der EU-Bildung gelte grundsätzlich, dass der Unterricht europaoffen, aber nicht unreflektiert, sondern konstruktiv kritisch sein solle. Ein Problem sei, dass viele Lehrkräfte angesichts der Hyperkomplexität und der Dynamik das Thema EU in der Vermittlung als besonders schwierig empfänden.

Einer von mehreren Ansatzpunkten, politische Bildung zu verbessern, ist für Monika Oberle die empirische Forschung, um entsprechende Wege einschlagen zu können. Welche Ergebnisse hat die empirische Forschung zur EU-Bildung bisher offenbart? „Das Wissen von Schülerinnen und Schülern über die EU wird stark davon beeinflusst, ob das Thema im Unterricht behandelt wurde“, erläuterte Oberle eines von vielen Ergebnissen der sogenannten WEUS II-Studie. Auf welche Art und Weise können Lehrkräfte politische Bildung mit ihren verschiedenen Dimensionen vermitteln? „Planspiele“, betont die Professorin, „eignen sich ganz gut“. So habe sich in einer Studie mit 308 niedersächsischen Schülerinnen und Schülern gezeigt, dass sich „zwischen vorher und nachher einiges getan hat“. Nach 3 Stunden Planspiel stiegen die Selbstwirksamkeitserwartung und das Responsivitätsgefühl, erhöhten sich die Kenntnisse über die Funktionsweise der EU allgemein und über die Entscheidungsfindung im Speziellen signifikant. Die Jugendlichen fanden das Spiel keineswegs langweilig oder gar zu schwer. „Planspiele können der Verdrossenheit gegenüber politischen Prozessen entgegenwirken“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Es gebe sie nicht nur für die Bildung zur EU, sondern auch zur Medienkompetenz, beispielsweise zum Thema „fake news“.

Ein Thema, das Monika Oberle ebenfalls am Herzen liegt, ist das unterschiedliche Wissen und das unterschiedliche Interesse von Mädchen und Jungen über Politik. Zum einen: „Das Interesser an Politik geht in der Jugend weiter auseinander“, so Oberle. Zum anderen: Mädchen schätzten ihr Wissen schlechter ein. Wie kann man dem entgegenwirken? Es gelte, Vorbilder zuzuschalten – zum Beispiel Politikerinnen, die allein durch ihre Position deutlich machten, dass Politik keine männliche Domäne ist. Und: Für mehr Ausgleich sorgen. „Wenn man in einem Planspiel einem Mädchen die Leitungsrolle gibt“, so die Professorin, „dann trauen sich auch die anderen Teilnehmerinnen mehr zu“. (mh)

Uni macht Schule: Vielversprechende Ansätze für mehr EU-Bildung

Die Europäische Union erscheint vielen als kompliziertes Konstrukt. Obwohl mittlerweile zahlreiche Entscheidungen über das Leben in den 27 Mitgliedstaaten in Brüssel getroffen werden, gibt es nur wenige Bürgerinnen und Bürger, die sich mit den Prozessen und Akteuren des Staatenverbunds gut auskennen. Gibt es Möglichkeiten, das zu verändern? "Politische EU-Bildung – Ziele, Herausforderungen und vielversprechende Ansätze" ist der Titel des Vortrags, der im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Freitag, dem 16. April am Gymnasium Neureut stattfindet – wegen der Pandemie erstmals online als Webinar. Referentin ist Professorin Dr. Monika Oberle vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Göttingen. Prof. Oberle, die in Karlsruhe Abitur gemacht hat, studierte in Marburg, London und Berlin Politikwissenschaft, war viele Jahre als Referentin in der politischen Bildung tätig und arbeitete dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Schon ihre Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem Wissen von Jugendlichen über die Europäische Union. Seit 2011 arbeitet sie als Professorin für Politikwissenschaften/Didaktik der Politik an der Universität Göttingen. Darüber hinaus ist sie unter anderem Sprecherin der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bundeszentrale für politische Bildung. Durch die Vorträge der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut sollen Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse über die unterschiedlichen Lehr- und Forschungsbereiche an Hochschulen informiert und für ein Studium begeistert werden. (mh)

Uni macht Schule zur Optoelektronik: "Gestaltet die Zukunft mit!"

Die Faszination hat kein bisschen nachgelassen. Noch heute weiß Uli Lemmer, was ihn in den Anfängen seines Studiums an der Optoelektronik, dieser Mischung aus Natur- und Ingenieurwissenschaft, so begeistert hat. „Ich wollte einerseits Dinge verstehen, andererseits Dinge machen und Lösungen für Probleme finden“, sagt er. Heute ist er einer der führenden Köpfe im weiten Feld der Forschung zur Optoelektronik, er ist Leiter des Lichttechnischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie und Koordinator der Karlsruhe School for Optics and Photonics.

Dass der Professor trotz der Pandemie im Rahmen der Vortragsreihe „Uni macht Schule“ ans Gymnasium Neureut gekommen war, ist nicht nur eine große Ehre, sondern für die zertifizierte MINT-Exzellenzschule auch ein großer Gewinn. Der Andrang auf die Veranstaltung, die Schülerinnen und Schülern ab der 10.Klasse einen Einblick in Forschungsbereiche von Hochschulen geben und sie für ein Studium begeistern soll, war enorm; angesichts der hohen Corona-Fallzahlen durften die Zehntklässler dieses Mal aber leider nicht teilnehmen. Uli Lemmer hielt seinen Vortrag zweimal hintereinander – für die Elft- und die Zwölftklässler getrennt – damit die Gruppen sich nicht mischen.  

Dass er für seinen Job und diesen multidisziplinären Forschungsbereich immer noch „brennt“, wie er sagt, und wie vielfältig die Anwendungsmöglichkeiten der optischen Technologien sind, zeigte der Referent anschaulich an zahlreichen Beispielen. So beschäftigt sich Professor Lemmer mit den sogenannten OLEDs, organischen Leuchtdioden für die Displaytechnologie. Während LCDs immer eine Hintergrundbeleuchtung benötigen, leuchten bei OLEDs die Bildpunkte selbst. Das schärft die Kontraste und spart Energie. „Die Welt voranzubringen und Produkte zu generieren“, das sei sein Antrieb, so Lemmer. Während ein Bereich der Optoelektronik in der Lichterzeugung, der Modulation und Übertragung des Lichts besteht, widmet sich der andere Bereich der Herstellung von elektrischer Energie durch Licht – der sogenannten Photovoltaik. Die Fortschritte der vergangenen Jahre sind auf diesem Gebiet gewaltig. „Die Photovoltaik kann die Energieproblematik der Menschheit lösen“, so Uli Lemmer. In einem neuartigen Verfahren können organische Solarzellen im Rotationsverfahren gedruckt werden. „Die Solarzellen werden dann von der Rolle geschnitten“, erklärt Lemmer in seinem Vortrag. Ebenso lassen sich mittlerweile bestimmte Solarzellen als Schichtsysteme mit dem Tintenstrahldrucker herstellen. Ein Ziel der Forschung ist die Steigerung der Effektivität der Solarzellen, die bei rund 22 Prozent liegt. Die Frage ist nun, wie das Farbspektrum des Lichts durch die Solarzellen noch besser genutzt werden kann. Hier werden beispielsweise mehrere Materialschichten übereinandergestapelt, die jeweils verschiedene Wellenlängen absorbieren, um so die Wirkungsgrade zu steigern. Obwohl der Löwenanteil der Produktion mittlerweile in Asien – vor allem in China – stattfände, sei Deutschland enorm stark bei den Materialien und dem Anlagenbau, betonte Lemmer. Viele weitere zukunftsträchtige Forschungsbereiche nannte der Forscher, die nicht nur spannend seien, sondern mit denen man auch Geld verdienen könne. Ob die Technik der Mikroskopie, die mittlerweile den Einblick in eine Zelle im 100 Nanometer-Bereich erlaubt, ob Medizintechnik mit der Optimierung der Computertomographie, die Lasertechnik oder die Forschung zur Steigerung der Energieeffizienz von Glasfasern: All das wird die Wissenschaft und Wirtschaft im „Jahrhundert der Photonen“ prägen.

So ganz ohne Hintergedanken war Uli Lemmer übrigens nicht ans Gymnasium Neureut gekommen. Ob Physik, Elektrotechnik oder Informationstechnik: „Wir haben zu wenig Studienanfänger“, sagt er.  Und dabei wünsche er sich so sehr ein Silicon Valley in Nordbaden. „Da ergeben sich jedes Jahr Tausende von Jobs“, warb der Professor. Lauter Berufe, in denen man etwas verbessern, etwas entwickeln, etwas bewegen könne. „Gestaltet die Zukunft mit!“, appellierte er, und: „Ich setze auf euch!“ (mh)

"Photovoltaik" oder "Optische Technologien": Zwei Themen zur Auswahl

Die Digitalisierung und der Kampf gegen den Klimawandel werden vermutlich die wichtigsten Themen sein, wenn die Corona-Pandemie die Schlagzeilen nicht mehr beherrscht und überwunden sein wird. Um in diesen Bereichen zukunftsfähig zu sein, bedarf es der Entwicklung innovativer Technologien und Materialien, vor allem aber bedarf es kluger Köpfe, die diesen Prozess vorantreiben. Einer von ihnen ist Professor Dr. Uli Lemmer, Leiter des Lichttechnischen Instituts an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik am KIT. Seine Forschungsinteressen gelten insbesondere der Technologie und den Anwendungen von druckbaren organischen und anorganischen Halbleitern für die Optoelektronik. Wie vielfältig, wichtig und interessant dieser Forschungsbereich für die Zukunft ist, wird Professor Lemmer bei seinem Vortrag im Rahmen von „Uni macht Schule“ am Freitag, 11. Dezember, ab 15 Uhr in der Mensa des Gymnasium Neureut deutlich machen. Erstmals in der Geschichte der Vortragsreihe dürfen die Schülerinnen und Schüler sich eines von zwei Themen aussuchen, über das der Referent dann sprechen wird. „Photovoltaik & Co.: Der Siegeszug der Regenerativen Energien“ und „Optische Technologien: Wie Photonen die Welt verändern“ heißen die Themen, die Professor Lemmer den Jugendlichen zur Auswahl stellt.

Im Vortrag über die Regenerativen Energien wird Uli Lemmer über die verschiedenen Technologien und Herausforderungen bei der Bewältigung der Energiewende sprechen. Hierbei nimmt er vor allem Photovoltaik in den Blick, die in sonnenreichen Gegenden die mit Abstand kostengünstigste Art ist, elektrischen Strom zu erzeugen. Welche technischen Herausforderungen damit einhergehen, welche Forschungsprojekte es im Bereich der Photovoltaik gibt und welche vielfältigen beruflichen Möglichkeiten hier entstehen, wird der Referent den Schülerinnen und Schülern vermitteln.

Uli Lemmers Vortrag über optische Technologien wird sich mit der Nutzung von Licht als einem zentralen Baustein der Gesellschaft beschäftigen. So könnte ohne Mikroskope kein Corona-Impfstoff entwickelt werden, ohne Photonen, die in Glasfasern um die Welt geschickt werden, gäbe es kein Internet und ohne die Photovoltaik wäre die Klimakatastrophe kaum aufzuhalten. Professor Lemmer spricht von der Photonik und Optoelektronik als einem stark wachsenden und in Deutschland besonders erfolgreichen Zweig der Industrie und Wissenschaft. Auch hier wird der Referent Beispiele der Forschung am KIT aufgreifen und einen Überblick über die vielfältigen beruflichen Möglichkeiten in einem spannenden und multidisziplinären Arbeitsgebiet geben.

Uli Lemmer stammt aus Gummersbach in Nordrhein-Westfalen und hat an der RWTH Aachen 1990 sein Diplom in Physik abgelegt. Er promovierte an der Philipps-Universität in Marburg mit einer Arbeit zu organischen Leuchtdioden. Nach einem Forschungsjahr in Santa Barbara in Kalifornien leitete er eine Forschungsgruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, bevor er 2002 zum Professor der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik am KIT ernannt wurde. Hier leitet er das Lichttechnische Institut und ist seit 2006 außerdem Koordinator der Karlsruhe School of Optics & Photonics. (mh)

 

Künstliche Intelligenz: Algorithmen und die Angst vor der Ersetzbarkeit

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Maschine dem Menschen in allen Formen der Intelligenz überlegen ist. Lediglich bei der emotionalen und sozialen Intelligenz hat der Mensch gegenüber dem Computer noch einen kleinen Vorsprung. Aber: „Das Wachstum bei der künstlichen Intelligenz ist exponentiell“, so Professor Dr. Rainer Neumann von der Hochschule Karlsruhe. Selbst bei der Kreativität hinkt der Mensch den von ihm selbst geschaffenen neuronalen Netzwerken mittlerweile hinterher. So vermögen Computer klassische Musik zu komponieren – im Stil von Mozart, Haydn, Bach oder Beethoven.

 „Künstliche Intelligenz – Sollen Maschinen für uns entscheiden“ hieß der jüngste Vortrag im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut. Während die Veranstaltung, die Schülerinnen und Schülern einen Einblick in Bereiche und Themen universitärer Arbeit geben und sie für ein Studium begeistern soll, im März wegen der Schulschließung ausgefallen war, fand sie jetzt unter großem Interesse statt.

Auch wenn es die Künstliche Intelligenz (KI) nicht gibt, so lässt sich doch verallgemeinernd sagen, dass es sich dabei um Computerprogramme handelt, die in der Lage sind, riesige Mengen an Daten mithilfe neuronaler Netzwerke nicht nur zu verknüpfen, sondern daraus zu lernen und letztendlich Prognosen und Entscheidungen zu treffen.  Professor Neumann, der Wirtschaftsinformatik lehrt, veranschaulichte die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz anhand von Beispielen. So ist Alphazero ein Computerprogramm, das allein durch die Kenntnis der Spielregeln und durch das Spielen gegen sich selbst komplexe Brettspiele erlernen kann. Vergleiche man die Lernkompetenz dieses Programms mit dem Lernen des Menschen, so mache die Maschine 180 Tage Spielerfahrung an einem einzigen Tag. Der Referent machte auch deutlich, dass es keinen Beruf geben wird, der vom Vormarsch der selbstlernenden Maschinen nicht betroffen sein wird. Beispielhaft nannte er Übersetzer und Anwälte. So lernten die Computerprogramme beispielsweise zwei Sprachen durch unzählige Beispiele – aus Alltag, Literatur und Wissenschaft – und könnten dann nahezu perfekte Übersetzungen erstellen. „Die Programme lernen das so, wie Kinder sprechen lernen“, erklärte Professor Neumann, „nur eben viel schneller“. Ob es sich um virtuelle Assistenten für den Alltag wie Alexa oder Siri handelt, um Medizintechnik zur Diagnose schwerer Krankheiten, um künstliche Tiere für japanische Senioren oder um das End-to-end-learning beim autonomen Fahren: Die Künstliche Intelligenz betrifft mittlerweile alle Lebensbereiche.

Wenn der Mensch eine Maschine schafft, die ihn selbst in vielen Bereichen überflüssig macht – wie geht das Leben dann weiter? Der Vormarsch der KI geht mit der Angst des Menschen vor Kontrollverlust, Überwachung und nicht zuletzt vor der eigenen Ersetzbarkeit einher. Und: Es stellen sich ethische und moralische Fragen. Während bei manchen Entscheidungen die Moral keine große Rolle spielt und es von Vorteil ist, dass „die Maschine weder pessimistisch noch optimistisch entscheidet“, wie Professor Neumann betont, gibt es andere, bei denen Werte, Normen und Regeln von großer Wichtigkeit sind. Da Werte aber nicht in allen Gesellschaften der Welt und nicht einmal in allen innergesellschaftlichen Gruppen gleich sind, stellt sich die Frage, wie eine Entscheidung zum Beispiel in einer Dilemma-Situation getroffen werden soll. „Wer bestimmt, wie die Algorithmen entscheiden? Wer versteht die Regeln? Wie können die Regeln gesellschaftlich diskutiert werden?“, nennt der Informatiker nur drei der Fragen, die beantwortet werden müssen, um die Risiken beim Einsatz der Algorithmen – beispielsweise nicht erkennbare Begründungen, versteckte Manipulation, Vorurteile und Diskriminierung – zu minimieren. Vor allem gehe es auch darum, Transparenz zu schaffen und die Komplexität zu beherrschen.

Viele Firmen erlegen sich mittlerweile selbst Regelwerke und Verpflichtungen auf, wie Professor Neumann betont. So verspricht beispielsweise Microsoft einen fairen, transparenten, die Privatsphäre schützenden Einsatz der Künstlichen Intelligenz. Ähnlich transparent will IBM vorgehen. Die Europäische Union hat 2019 Leitlinien für vertrauenswürdige KI entwickelt, die nicht nur menschliche Aufsicht und Kontrolle einfordern, sondern von der KI auch einen nachhaltigen Nutzen für Gesellschaft und Umwelt erwarten. Aber trotz dieser Leitlinien bleiben Fragen, wie der Referent klarstellt: „Wer entwickelt die Regelwerke? Wer trifft die politischen Entscheidungen? Welche Macht soll Künstliche Intelligenz haben? Wer verhindert Missbrauch?“ Die Antworten auf diese Fragen musste Professor Neumann in seinem rundum interessanten und vielfältigen Vortrag zwangsläufig schuldig bleiben. Und mit einer weiteren unbehaglichen und in ihrer Konsequenz kaum ausdenkbaren Frage ließ der Informatiker die Zuhörerschaft allein: „Werden Maschinen irgendwann ein Bewusstsein entwickeln?“ (mh)

 

Vorträge im Schuljahr 2019/20

Digitalisierung an Schulen: „Die Technik hat nur eine dienende Funktion“

„Lernen ist mühevoll, anstrengend und teilweise ätzend“, meinte Johannes Gutbrod. Und die Schülerinnen und Schüler im gut besuchten Studiensaal des Gymnasiums Neureut stimmten dem Referenten nickend zu. Das, so meinte der promovierte Pädagoge, würde sich auch durch die Digitalisierung nicht verändern. Er warnte davor zu denken, dass mühevolles Lernen durch die Digitalisierung einfacher und weniger anstrengend würde, dass Lernen durch die Technik jetzt quasi von selbst gehen könne. Fünf Milliarden Euro sollen den Schulen durch den sogenannten Digitalpakt der Bundesregierung zugutekommen. Allein in Karlsruhe sind 15,7 Millionen Euro für die Ausstattung mit digitalen Geräten vorgesehen. Voraussetzung für die Unterstützung ist, dass jede Schule für ihre jeweilige Digitalisierung ein spezielles pädagogisches Konzept, den sogenannten Medienentwicklungsplan, vorlegt. Der Digitalpakt war unter anderem der Anlass für Johannes Gutbrod, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen. „Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung von Schule und Unterricht“ lautete dann auch der Titel seines Vortrags, den er im Rahmen der Vortragsreihe „Uni macht Schule“ am Gymnasium Neureut hielt.
Gutbrod, der selbst Studienrat für Deutsch, Geographie und Sport an einem beruflichen Gymnasium ist und darüber hinaus als Dozent am Institut für allgemeine Pädagogik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) arbeitet, betonte die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Lerntechnik und Lernmethode. Lernen, so definierte er zunächst, sei die Transformation des Menschen vom Naturzustand in den Kulturzustand. „Die Schülerinnen und Schüler sollen nach Verlassen der Schule sachliches und sittliches Wissen als mündige Bürger besitzen“, erklärte der 33jährige. Dafür seien die Lehrkräfte verantwortlich. Während die reinen Inhalte vom Lehrplan vorgegeben würden, lägen die Lerntechniken und die Methoden in den Händen der Lehrerinnen und Lehrer. Er beschrieb die Unterscheidung zwischen Lerntechnik und -methodik mithilfe des Buchstabierens. „Wer die Technik des Buchstabierens beherrscht, muss noch lange nicht die Methode des Verstehens beherrschen“, meinte Gutbrod. Regelkonformes Schreiben, so ein weiteres Beispiel, heiße noch lange nicht sinnvolles Schreiben. „Die Technik also hat immer nur eine dienende Funktion“, betonte er. Sie unterstütze das Lernen, ohne selbst schon Inhalte oder Sinn zu erzeugen. Lernen selbst sei dagegen vor allem „eigenständige Geistesarbeit“. Die digitalen Medien sieht er entsprechend als technische Arbeitsgeräte, die allerdings in den Köpfen der Lernenden erst einmal als solche wahrgenommen werden müssten. „Das Tablet wird in der Schule vom Freizeit- zum Arbeitsgerät transformiert“, gab er zu bedenken.
In dem kurzweiligen Vortrag des Pädagogen wurde deutlich, dass für ihn digitale Geräte in der Schule durchaus einen Nutzen haben, der allerdings begrenzt ist. So sieht er beispielsweise den Einsatz von Tablets im Unterricht in den Phasen der Gruppenarbeit, der Recherche, in Übungsphasen, zur individuellen Förderung und zum selbstorganisierten Lernen als durchaus sinnvoll an. Digitale Medien könnten motivieren und aktivieren, sie seien nützlich beim Präsentieren, Differenzieren und Individualisieren. „Sie zu verwenden“, so betonte Johannes Gutbrod am Schluss aber noch einmal, „heißt noch lange nicht, etwas gelernt zu haben“. (mh)

Strahlende Lebkuchen und Kammern aus Kriegsschiffen

Was hat ein Lebkuchen mit radioaktiver Strahlung zu tun? Und warum muss eine Stahlkammer ausgerechnet aus dem Material eines Kriegsschiffes gebaut sein? Dr. Bastian Breustedt hatte auf diese ungewöhnlichen Fragen interessante Antworten. „Radionuklide im menschlichen Körper“ lautete der Titel des Vortrags, den der Physiker im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ im gut besetzten Studiensaal des Gymnasiums Neureut hielt. Ziel dieser Veranstaltungsreihe ist es, Schülerinnen und Schülern ab Klasse 10 die Vielfalt der Fächer und Themen an Hochschulen näherzubringen. Viermal jährlich wird ein solcher Vortrag angeboten; die Schülerinnen und Schüler können hier Scheine erwerben, sammeln und so ein Zertifikat zum Abiturzeugnis erhalten. Das höchste Ziel aber ist, dass der Funke der Begeisterung überspringt. Und Bastian Breustedts Vortrag hatte durchaus das Zeug dazu, an Physik interessierte Gymnasiasten für ein solches Studium zu begeistern. Der 44-jährige ist Leiter der Radioanalytischen Labor bei der Stabsstelle „Sicherheit und Umwelt“ (SUM) des Karlsruher Instituts für Technologie. Er hat die Lehrbefugnis im Fach Strahlenschutz, ist Medizinphysikexperte und hält darüber hinaus Vorlesungen über Physiologie und Anatomie sowie Dosimetrie.
Die Stabsstelle SUM hat die Aufgabe, die radiologische und konventionelle Sicherheit am KIT zu gewährleisten, nimmt aber auch auswärtige Aufträge entgegen. Da in den Radioanalytischen Laboren Theorie und Praxis Hand in Hand gehen, konnte Bastian Breustedt einen sehr anschaulichen Vortrag halten. Er schaffte es, die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer im Studiensaal bei ihrem Vorwissen abzuholen und sie weiterzuführen. Was ist Radioaktivität überhaupt? Wie wird Strahlung gemessen? Wo kommt sie vor? Wie wirkt sie? Wie wird in den Radioanalytischen Laboren gearbeitet? Ionisierende Strahlung, also Strahlung von radioaktiven Stoffen, so Breustedt, sei ubiquitär, also überall zu finden – auch in der Natur. „Radioaktivität ist eine Eigenschaft von Atomkernen“, erklärte er. „Sind sie instabil, können sie zerfallen.“ Instabile Kerne, die Radionuklide genannt werden, setzen beim Umbau oder Zerfall Energie in Form von Strahlung frei. Dadurch entsteht Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung mit einer jeweils unterschiedlichen Strahlungsreichweite und einer unterschiedlichen biologischen Wirksamkeit. Während mit der Maßeinheit Becquerel die Anzahl der zerfallenden Atome in einer Sekunde gemessen wird, ist die Einheit für die biologisch gewichtete Strahlendosis das Sievert. „Die Karlsruher waren Anfang der 60er-Jahre durch Umgebungsstrahlung 70-100 Becquerel ausgesetzt“, erzählte der Physiker. „Nach den Atomwaffenversuchen in den Folgejahren stieg sie auf 700 Becquerel an“. Glücklicherweise, so Breustedt, sank sie wieder, bis es 1986 zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl kam; in deren Folgejahren die Belastung wieder sank.
In den Radioanalytischen Laboren werden Menschen, die in ihrem Alltag oder Beruf besonders hoher – natürlicher oder künstlicher – Strahlung ausgesetzt sind, auf ihre Strahlenbelastung hin untersucht. Dazu gehören beispielsweise Personen, die immer oder zeitweise in Kernkraftwerken oder in unmittelbarer Nähe arbeiten. Um ein möglichst genaues Ergebnis der Strahlenbelastung zu bekommen, musste die Umgebungsstrahlung in den Laboren auf ein Minimum reduziert werden. Und so wurde bereits vor vielen Jahren eine Stahlkammer aus dem Material eines Kriegsschiffes gebaut. „Diese Kammer ist sehr arm an Radioaktivität, weil es damals noch keine Atomwaffenversuche gab“, erklärte der Referent. Und so weise die Kammer innendrin nur noch ein Hundertstel der Umgebungsstrahlung auf.
Was passiert, wenn ein Körper einer Strahlung ausgesetzt ist oder war? Zunächst, so Breustedt, trete die Strahlung in Wechselwirkung mit der Zelle. Es gebe es eine sehr schnelle physikalische Wirkung: „Die Ionen reagieren miteinander“. Es folgten die chemischen Auswirkungen mit der Schadensausbreitung im ganzen Körper. Sehr lange dauere dann die biologische Effektentstehung – oft Jahre später könne durch die Schädigung des Erbguts beispielsweise Krebs entstehen. Das Ziel sei es natürlich, diese Krebsfälle zu verhindern. Die Schwierigkeit besteht aber darin, verschiedene Krebsfälle ursächlich mit der Strahlenwirkung zu verknüpfen. Hier kommt ein weiteres Fachgebiet Breustedts ins Spiel: die Dosimetrie. Sie untersucht Verfahren zur Messung einer Dosis bei der Wechselwirkung eines Körpers oder Materials mit ionisierender Strahlung. Durch diese Forschung entstehen dann die Grenzwerte für die Bevölkerung und bestimmte Berufsgruppen. 1 Millisievert ist der Grenzwert für die jährliche Strahlenbelastung der Bevölkerung, die beispielsweise aus kerntechnischen Anlagen resultiert. Zum Vergleich: Ein Flug von München nach Japan entspricht einer Dosis von etwa 0,1 Millisievert, eine Ganzkörpertomographie 10-20 Millisievert.
Bastian Breustedt machte den Schülerinnen und Schülern in seinem Vortrag, aber auch darüber hinaus deutlich, wie interessant die Physik ist: „Man kann sehr viel damit machen.“ Auch lud er die Physikkurse am Gymnasium Neureut zu einer Besichtigung der Radioanalytischen Labore am SUM ein. Und dann bot Bastian Breustedt Lebkuchen an. Die übrigens strahlen auch – wie viele andere Lebensmittel. Durch das radioaktive Kalium-40, das in der als Backtriebmittel verwendeten sogenannten Pottasche enthalten ist, liegt die Dosis pro Lebkuchen bei 28 Nanosievert, also 28 Milliardstel Sievert. Wie viele Lebkuchen müsste man essen, bevor es gefährlich werden könnte? Etwas 35 000, meinte der Physiker und betonte, dass bei einer solchen Menge an Lebkuchen die Strahlung vermutlich das geringste Problem sei.

(mh)

Flyer

Vorträge im aktuellen Schuljahr 2018/19

Dr. Sandra Meinzer: Begeistert von ihrem Fachgebiet

Der Beruf der Ärztin war ihr keinesfalls in die Wiege gelegt worden. Sandra Meinzer stammt aus einer Handwerkerfamilie; und während des Medizinstudiums in Greifswald und Freiburg wurde sie so manches Mal verwundert gefragt, warum sie denn dann Ärztin werden wolle. Da sei „diese Begeisterung für die Biologie“ gewesen, erzählt sie. Ihr ursprüngliches Interesse galt der Neurologie. Heute ist Sandra Meinzer Oberärztin der Medizinischen Klinik II, der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Diabetologie am Städtischen Klinikum in Karlsruhe. Die Ärztin war die nunmehr vierte Referentin der Vortragsreihe „Uni macht Schule“ im Jubiläumsjahr des Gymnasiums Neureut. Üblicherweise referieren bei dieser Veranstaltung Dozentinnen und Dozenten von Hochschulen, um die Schülerinnen und Schülern der Oberstufe für ein Studium zu begeistern und ihnen Einblick zu geben in die verschiedenen Lehr- und Forschungsbereiche. Im Jahr des 50. Geburtstags der Schule an der Unterfeldstraße aber waren ehemalige Schülerinnen und Schüler eingeladen, die mittlerweile Karriere gemacht haben.
„Moderne Diagnostik und Therapie bei Magen- und Darmerkrankungen: Von der Kontrastmittelsonografie bis zur Radiofrequenzablation“ hieß das Thema des Vortrags von Sandra Meinzer, zu dem auch interessierte Gäste in den Studiensaal des Gymnasiums Neureut gekommen waren. 1998 hat Sandra Meinzer Abitur gemacht, seit 2005 bereits arbeitet sie an der Medizinischen Klinik II, seit nunmehr drei Jahren als Oberärztin. In den 14 Jahren hat sie sehr viele Zusatzqualifikationen erworben: Notfallmedizin, Fachärztin für Innere Medizin sowie für Gastroenterologie und zuletzt qualifizierte sie sich auch für Internistische Intensivmedizin.
Dass sie begeistert ist von ihrem Fachgebiet und von den modernen Methoden der Diagnose und Therapie von Krankheiten des Verdauungstraktes, merkte man ihrem auch für Laien weitestgehend verständlichen Vortrag deutlich an. „Das Fachgebiet ist sehr spannend: Wir haben es mit mehreren Organen zu tun und mit Patienten, die vom Kindesalter bis ins hohe Alter reichen“, erzählte sie. Zum Werkzeugkasten der Internisten – hier der Gastroenterologen – gehört neben dem Sehen, Zuhören, Fragen und der körperlichen Untersuchung die Labordiagnostik. Darüber hinaus aber bietet die moderne Diagnostik hervorragende Möglichkeiten, Krankheiten durch Ultraschall, Funktionsuntersuchungen, Endoskopie, CT oder MRT zu entdecken. Manche dieser Diagnosegeräte sind auch in der Lage, Gewebeveränderungen abzutragen oder Verschlüsse zu öffnen, also auch gleichzeitig zu therapieren. Dabei hänge es davon ab, wie viele Hautschichten von den Veränderungen betroffen sind, stellte die Ärztin klar. „Wir müssen mindestens eine von drei Schichten stehen lassen“, so Meinzer. Gehe krankes Gewebe über diese Schicht hinaus, sei die Therapie dann Sache des Chirurgen.
Dr. Meinzer stellte in ihrem Vortrag zahlreiche Verfahren vor. So ist es durch die Kapselendoskopie beispielsweise möglich, den Dünndarm, der noch vor einigen Jahren eine „black box“ war, auf Veränderungen zu untersuchen. Der Patient schluckt eine Kapsel mit einer Batteriezeit von 12 Stunden. Diese Kapsel durchläuft den Verdauungstrakt und macht Fotos vom Dünndarm, dessen Wand besonders viele Falten und Zotten hat. Um Blutungen des Verdauungstraktes zu stoppen, gibt es das neuartige Verfahren eines Clips, der mit dem Endoskop an die blutende Stelle geführt wird, die blutende Schleimhaut einsaugt und mit einem Clip verschließt. Hinsichtlich der Tumorerkennung und -behandlung appellierte Sandra Meinzer an die Anwesenden, Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchungen spätestens ab dem Alter von 50 wahrzunehmen. Bis sich ein Adenom, also neugebildetes Gewebe im Darm, zu Darmkrebs entwickelt und die Darmwand durchdringt, dauert es viele Jahre. Durch die Darmspiegelung mittels eines Endoskops lassen sich Polypen und Adenome ebenso wir Krebsvorstufen erkennen und durch verschiedene Verfahren abtragen. Ein Beispiel ist die Polypektomie, bei der mit einer Schlinge, durch die Strom fließt, das Gewebe weggeschnitten und die Stelle verödet wird. Bei der Ligatur- oder Kappentechnik wird das Gewebe abgeklemmt und stirbt ab. Dr. Meinzer stellte auch Möglichkeiten des Erkennens und Behandelns von Gallenwegerkrankungen mittels endoskopischer Verfahren dar.
Die Fragen an die Referentin waren vielfältig. Neben dem Interesse an der Früherkennung von Krebserkrankungen gab es Fragen zu schmerzhaften Ausstülpungen beispielsweise der Darmwand, den sogenannten Divertikeln. Einige Schülerinnen und Schüler möchten Medizin studieren und fragten nach Wegen zum Arztberuf. Interesse bestand aber auch am Ablauf eines Klinikalltags und dem Ausmaß der Überlastung von Klinikärzten. Die Anzahl der Überstunden sei beträchtlich, so Sandra Meinzer. Man habe aufgrund zahlreicher anderer Verpflichtungen zunehmend weniger Zeit für die Patienten. Trotzdem wolle sie nicht in einer niedergelassenen Praxis arbeiten: „Im Krankenhaus ist es spannender“. Man müsse eben bedenken, dass der Aufenthalt im Krankenhaus für die Ärzte Alltag sei, für die Patienten aber eine absolute Ausnahmesituation. „Da kann man“, so betonte sie, „nicht einfach sagen: Ich hab jetzt Feierabend.“ (mh)

Erstaunliche Ansichten von Erde und Weltall

Die Begeisterung für sein Metier hat man beim Referenten der aktuellen Ausgabe unseres renommierten Formats „Uni macht Schule“ deutlich gespürt, als er die beeindruckenden Satellitenbilder kommentierte, die er den rund 40 interessierten Zuhörern im Studiensaal des Gymnasiums Neureut präsentierte. Auf den mit Radartechnik aufgenommenen Bildern zu sehen waren beispielweise wandernde Gletscher, das Werk eines Tsunamis in China oder Mexiko-City, wie es jährlich immer mehr im Lehm versinkt.
Der geborene Leopoldshafener Dr. Eric Schreiber studierte nach seinem Abitur am Gymnasium Neureut Elektro- und Informationstechnik am KIT und promovierte am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), bei dem er heute am Standort Oberpfaffenhofen forscht. Sein Spezialgebiet ist Fernerkundung mit Hilfe von Hochfrequenz- und Radartechnik. „Die dort entwickelten Radarsysteme liefern Bilder, die z. B. in den Bereichen Logistik und Städteplanung, Gletscher- oder Ackerbeobachtung oder der Erforschung der Biosphäre und Geosphäre neue Möglichkeiten eröffnen“, so Schreiber. Sogar Deformationen im Zentimeterbereich seien erfassbar.
In seinem Vortrag erläuterte Schreiber auch die Vorteile von Radarwellen gegenüber anderen elektromagnetischen Wellen. Sie können – im Gegensatz z. B. zu sichtbarem Licht – Wolken durchdringen und sie funktionieren auch bei Dunkelheit. Darüber hinaus sind sie unempfindlich gegen äußere Veränderungen oder Störungen.
In der anschließenden Fragerunde ging er detailliert auf die Fragen der Schülerinnen und Schüler ein, die vor allem auf die Möglichkeiten abzielten, mittels Radartechnik Landminen auf der Erde und Weltraumschrott im Weltall aufzuspüren.
Großen Respekt der anwesenden Physiklehrer erntete Schreiber für den Mut, Differenzialoperatoren und höhere Mathematik in seinen Vortrag einzubauen. Dass die Schülerinnen und Schüler die große Tragweite der die gesamte Elektrodynamik beschreibenden Maxwell-Gleichungen im Einzelnen verstanden haben, darf zwar bezweifelt werden, sein ehemaliger Mathelehrer Franz Wiedemann hätte jedenfalls seine Freude daran gehabt. Davon beeindruckt waren die Schülerinnen und Schüler allemal, der ein oder andere womöglich auch angespornt, sie irgendwann einmal – z.B. im Studium der Physik oder Elektrotechnik – zu verstehen.

Bu

Die Finanzwirtschaft im Umbruch

Gerrit Leuchs gibt es offen zu: „Ich war ein fauler und bequemer Schüler“. Er habe immer „gerade so die Kurve gekriegt, um nicht sitzenzubleiben“. Er verrät den Zuhörern auch seine Abiturnote, die an dieser Stelle allerdings nicht erwähnt werden soll, um Nachahmungen zu vermeiden. Trotz alledem: Der ehemalige Abiturient des Gymnasiums Neureut hat Karriere gemacht. Heute ist er Niederlassungsleiter Baden-Württemberg der UTA Truck Lease, einem Unternehmen, das zur PEAC Finance gehört und das sich auf die Akquise von Leasing und Finanzierung von Nutzfahrzeugen spezialisiert hat. „Die Finanzwirtschaft im Spagat – Zwischen Kundenservice, Digitalisierung und neuen Wettbewerbern“ war der Titel des Vortrags, den Gerrit Leuchs im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“ im Studiensaal des Gymnasiums Neureut hielt. Zunächst aber gab er den Schülerinnen und Schülern einen umfassenden Einblick in seinen beruflichen Werdegang. Während die Vortragsreihe normalerweise Hochschuldozenten und -dozentinnen vorbehalten ist, werden in diesem Schuljahr – zum 50. Geburtstag des Gymnasiums Neureut – ehemalige Abiturientinnen und Abiturienten eingeladen, um von ihrer Karriere zu erzählen und von einem Schwerpunkt ihrer Arbeit zu berichten.

Gerrit Leuchs hat in den 25 Jahren seiner Berufstätigkeit bei neun Arbeitgebern in leitenden Positionen – im Vertrieb und im Marketing – gearbeitet. Er hat Versicherungsagenturen betreut, den Vertrieb von Mobilfunkunternehmen aufgebaut, als Vertriebsdirektor neue Geschäftsmodelle entwickelt oder beim TÜV Dienstleistungen digitalisiert. Er war Geschäftsführer und Bereichsleiter. Seine Leidenschaft galt von vorneherein dem Vertrieb. „Dienstleistungen finde ich besonders spannend“, erzählt der 53-jährige. Dabei war sein Ziel nach dem Abitur 1985 eigentlich ein anderes: Er wollte bei der Bundeswehr Pilot werden. Eine Farbschwäche ließ diesen Traum platzen und Leuchs fuhr als Leutnant zur See. Nach der Bundeswehr studierte er zwei Semester Geodäsie in Karlsruhe. Das lernintensive, Mathematik-lastige Fach entsprach allerdings gar nicht seinen Vorstellungen. Er wechselte zu den Fächern Soziologie, Jura und Erziehungswissenschaften nach Heidelberg. „Diese Uni ist sozial- und geisteswissenschaftlich geprägt. Und: Es wurde viel gefeiert“, erzählt er augenzwinkernd. Von vorneherein konzentrierte sich Leuchs im Studium auf Wirtschaft und Personalwesen. Zahlreiche Praktika untermauerten sein Interesse in diesem Bereich. Nach dem Abschluss des Magister Artium absolvierte Leuchs ein Management Trainee bei einer Versicherung. Und so begann seine Karriere, bei der er zeitweise Verantwortung für 2000 Leute trug und immer wieder Headhunter den Kontakt zu ihm suchten.

Neben dem Vertrieb ist auch die Digitalisierung von Servicedienstleistungen ein Steckenpferd des 53-jährigen, das ihn als Führungskraft in einem in der Finanzierung tätigen Unternehmen interessiert. „Die Krise der Banken“, so sagt Leuchs, „ist noch nicht vorbei“. Durch die Schrumpfung der Gewinne gäbe es Fusionen und – für den Kunden noch stärker spürbar – Schließungen von Filialen. Während es derzeit noch 1900 private Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken gäbe, sähen die Prognosen in 15 Jahren nur noch 150 bis 300 Banken am Markt. Die Banken, so der Referent, seien durch viele ihrer Praktiken in Verruf geraten. Das habe den Boden bereitet für alternative Anbieter – vor allem für Fintechs: Unternehmen, die mithilfe moderner Technologie spezialisierte Finanzdienstleistungen anbieten, beispielsweise Bezahlportale im Internet. „Fintechs tummeln sich nicht nur in Randbereichen des klassischen Bankings“, betont Leuchs, „sondern auch in den absoluten Kernbereichen. Sie drängen erfolgreich in den Kreditmarkt, sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen." Die klassischen Banken müssten sich etwas überlegen, um nicht vom Markt zu verschwinden. Und da scheint sich eine Entwicklung anzubahnen, so der Referent: „Mittlerweile präsentieren sich die großen Banken im Schulterschluss mit Fintechs.“

Ob denn dieser Trend nicht zahlreiche Arbeitsplätze koste, war eine der Fragen aus dem Publikum an Gerrit Leuchs. „Jeder Trend birgt Chancen und Risiken“, meinte er. „Man muss keine Angst haben: Es wird neue Arbeitsplätze geben.“ „Was sollten die Schülerinnen und Schüler heute studieren, um im Vertriebsbereich erfolgreich zu sein?“, lautete eine weitere Frage. Das BWL-Studium sei eine sehr gute Grundlage, so der ehemalige Schüler des Gymnasiums Neureut, ein Studium des Vertriebsingenieurwesens oder auch eine Banklehre mit anschließendem Studium. Leuchs appellierte an die Schülerinnen und Schüler, das zu machen, wozu sie am meisten Lust hätten. Und obwohl er damals kein begeisterter Schüler war, sieht er den Nutzen seiner Schulzeit heute durchaus positiv: „Ich habe ein breites Allgemeinwissen erlangt, Sprachen gelernt, Motivation und Selbständigkeit erfahren“, betont er. „Ohne den Besuch des Gymnasiums wären meine Chancen in der Wirtschaft anders ausgefallen“. (mh)

„Seid neugierig, seid wissbegierig!“

Er kann es auch nach vielen Jahren noch richtig gut. Ohne jede Spur von Langeweile sitzen die Schülerinnen und Schüler fast eineinhalb Stunden da und lauschen ihm. Er
bezieht sie ein, er stellt Fragen, er hört gut zu und er reagiert verbindlich und wertschätzend auf die Antworten. Jürgen Striby, Leiter des Referats für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung am Kultusministerium in Stuttgart, ehemaliger Schüler des Gymnasiums Neureut und ausgebildeter Grund- und Hauptschullehrer, trägt die Leidenschaft für das Unterrichten noch immer im Herzen. „Lehrerbildung in Bewegung: Ziele und Entwicklungen“ hieß Jürgen Stribys Vortrag im Rahmen der Reihe „Uni macht Schule“, der erste im Jubiläumsjahr. 50 Jahre alt wird das Gymnasium Neureut in diesem Schuljahr; und auch die Vortragsreihe soll ganz im Zeichen des Geburtstags stehen. Ehemalige Schülerinnen und Schüler, die mittlerweile Karriere gemacht haben, kommen in diesem Jahr zu Wort. Sie erzählen von ihrem Werdegang und widmen sich in ihren Vorträgen dann einem Schwerpunktthema ihrer Arbeit.
Jürgen Striby machte den jungen Zuhörern im Studiensaal vor allem Mut. „Seid neugierig, seid wissbegierig, geht in neue Welten“, forderte er sie auf. Die Möglichkeiten seien in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation sehr gut. Das Gymnasium Neureut und mit ihm viele Lehrer hätten ihn damals geprägt und beeindruckt. „Lehrkräfte haben mir als Wissensträger die Welt erschlossen“, sagte er.
Er sei ein guter Schüler gewesen, insbesondere in Mathematik und den Naturwissenschaften. Dennoch habe er nach dem Abitur 1985 keine Orientierung gehabt. „Wenn man über seinen Werdegang spricht, läuft man Gefahr, ihn konstruiert darzustellen“, meinte er. „Ich möchte es so darstellen, wie es war“. Es habe Ungewissheiten und Brüche gegeben. Der Weg ins Ministerium jedenfalls war keinesfalls vorgezeichnet. Zunächst begann Striby Maschinenbau zu studieren. „Als dann aber der Professor in einer Vorlesung über die kristalline Struktur von Metall bei 600 Grad sprach, wurde mir klar: Nein, nein, das ist es nicht“, erzählte er. Die Mutter einer Freundin nahm ihn in der folgenden Zeit der Orientierungslosigkeit in eine Grundund Hauptschule mit. Dieses Erlebnis sei einschneidend gewesen und habe ihn zum Studium an die Pädagogische Hochschule geführt. Die anschließende Lehrtätigkeit an der Hauptschule habe ihm viel Freude gemacht. Sein Weg in den folgenden Jahren war überall geprägt von guter, engagierter Arbeit, von Menschen, die ihn förderten und von Zufällen. So kam er vom Lehramt in wenigen Jahren zur Lehrerausbildung, war in der Qualitätssicherung und -entwicklung tätig und wurde dann gefragt, ob er die Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg besuchen wolle. „Damals habe ich lange Gespräche geführt“, erzählte er. „Denn es war klar, dass dies nun der Weg vom lehrenden in den Verwaltungsbereich sein würde“. Er entschied sich für die Führungsakademie, wurde anschließend Referent im Bereich Fortbildung am Kultusministerium, dann stellvertretender Stabschef und ist seit 2012 Leiter des

Referats für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung. Er gehört zahlreichen Kommissionen und Arbeitsgemeinschaften, auch auf Bundesebene, an. So leitet er beispielsweise die AG Digitalisierung – ein Thema, das derzeit bundesweit im Bildungsbereich hochaktuell ist.
„Was macht einen guten Lehrer aus, was muss er können? Und: Was muss Lehrerbildung leisten?“, fragte Striby die Schülerinnen und Schüler und Gäste im Studiensaal. Und da tauten auch die Stillen, die Schüchternen auf. „Vorbild muss er sein“, findet ein Schüler. Motiviert, fachlich kompetent, respektvoll und Respekt einflößend sind weitere Eigenschaften, die sich Lernende von Lehrenden wünschen. „Bei mir hängt es sogar vom Lehrer ab, welches Fach ich mag“, sagte eine Schülerin.
Die Anforderungen an Lehrkräfte, fasste Striby zusammen, seien also enorm hoch. Und genau hier setze die Lehrerausbildung und -fortbildung mit zahlreichen Angeboten der Unterstützung an. „Verankert das aber nicht so, dass ich entscheide, was passiert“, bat er die Zuhörer. Die Spitze des Ministeriums, allen voran die Kultusministerin, erteile die Aufträge an sein Referat. „Wir setzen das dann in Formate um“, erklärte er.
Zahlreiche Dinge beeinflussten die Lehrerbildung: beispielsweise der Bildungsplan, die Einführung neuer Fächer, der Lehrkräftemangel, die Rahmenvorgaben der Kultusministerkonferenz und auch Studien, die die Leistungsfähigkeit von Schulsystemen untersuchen. Und hier ist Baden-Württemberg aktuell nur noch im mittleren Bereich angesiedelt. Das möchte die Spitze des Ministeriums ändern. Zwölf Arbeits- und Projektgruppen haben sich nun mehr als ein Jahr lang mit der Steigerung der Bildungsqualität und der Verbesserung von Bildungschancen beschäftigt. Auch Jürgen Striby war bei der Konzeption mit von der Partie. Das Ergebnis führt unter anderem zu einer Veränderung der Organisationsstruktur: Es wird ab 1. Januar 2019 ein Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung geben sowie ein Institut für Bildungsanalysen. Es bleibt also spannend für den ehemaligen Abiturienten des Gymnasiums Neureut. „Ich hätte euch meinen Lebenslauf auch als klaren Karriereplan darstellen können“, meinte er. Stattdessen aber machte er auch den orientierungslosen und zögerlichen Schülerinnen und Schülern Mut. „Auch ihr werdet Wege gehen, auch ihr werdet an Ziele kommen!“, sagte er, ganz im Sinne eines guten, motivierenden Lehrers. Er kann es eben – auch nach vielen Jahren noch. (mh)

 

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