Mikroplastik: „Mehr Vorgaben und Regulierungen sind notwendig“
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Sie sind günstig, vielseitig verwendbar und aus dem Leben der Menschen nicht mehr wegzudenken: Kunststoffe. Vom Autositz über Fensterrahmen, Vesperboxen, Wasserkocher oder Luftballons bis hin zur Frischhaltefolie und Getränkepackungen: Es gibt kaum einen Bereich im Alltag und auch in der Industrie, in dem das landläufig als „Plastik“ bezeichnete Material nicht eine gewaltige Rolle spielt. „Dem Plastik auf der Spur – Was wissen wir über Mikroplastik?“ hieß auch der jüngste Vortrag aus der Reihe „Uni macht Schule“, bei dem Dr. Ing. Saskia Ziemann die Zuhörerinnen und Zuhörer mitnahm auf eine Reise durch die Geschichte und Verwendung dieses Materials, vor allem aber auch die Probleme und Gefahren von Mikroplastik thematisierte. Die promovierte Geoökologin arbeitet seit vielen Jahren beim Projetträger Karlsruhe am KIT, wo sie unter anderem den Forschungsschwerpunkt „Plastik in der Umwelt“ betreute.
Kunststoffe, die bereits im 19 Jahrhundert als Ersatz für Elfenbein-Billardkugeln erfunden wurden, werden erst seit 1950 in Massenproduktion hergestellt. 8,3 Milliarden Tonnen wurden seither weltweit produziert, eine unvorstellbar große Menge des Materials, das je nach Anordnung der Polymerketten verformbar, steif oder elastisch bleibt, wie Dr. Ziemann sehr anschaulich erklärte. Polymere werden zum größten Teil aus fossilen Rohstoffen hergestellt und mit Zusatzstoffen angereichert. „Der globale Kunststoffbedarf steigt“, so die Referentin, „vor allem nach Polyethylen, das insbesondere als Verpackungsmaterial verwendet wird“.
Plastik: quo vadis? Was ist mit diesen vielen Milliarden Tonnen Kunststoff passiert und wofür wurden und werden sie verwendet? Zumindest in Deutschland werden allein 30 Prozent als Verpackungsmaterial genutzt, gefolgt von der Nutzung im Bausektor mit fast 24 Prozent. Was ist global aus dem hergestellten Kunststoff seit 1950 geworden? Nur 2,5 Milliarden Tonnen sind dauerhaft in Verwendung. Fast die doppelte Menge wird nur einmal benutzt und lediglich 0,8 Milliarden Tonnen werden recycled oder verbrannt. Und der Rest? Der landet auf Deponien, Müllhalden oder in der Umwelt, beispielsweise in den Ozeanen, wo sich vor allem Plastikflaschen, Verpackungsmaterial, Kippen und Hygieneartikel finden. „450 Jahre braucht eine Plastikflasche, bis sie abgebaut ist“, betont Dr. Ziemann, „sie zerbricht, fragmentiert, zerfasert“. Es entsteht Mikroplastik, das laut Definition kleiner ist als 5 mm. Man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik – ersteres wird schon als Mikroplastik hergestellt, als Zusatz beispielsweise von Kosmetikprodukten, während das sekundäre durch Zerfall oder Abrieb von Makroplastik entsteht, beispielweise durch langsamen Zerfall in der Natur, durch Reifenabrieb oder Fasern aus Kleidung.
Mit verschiedenen, teils aufwändigen Methoden wird Mikroplastik in der Umwelt – in Böden, Luft und Wasser – untersucht, um die Menge und die Art des Materials festzustellen. In den Weltmeeren beispielsweise entstammen 35 Prozent des Mikroplastiks von synthetischen Textilien, 28 Prozent von Reifenabrieb, 24 Prozent aus dem Stadtstaub und 7 Prozent von Fahrbahnmarkierungen. Mikroplastik aber findet sich nicht nur in den Meeren, sondern reichert sich auch in Böden an oder ist in der Luft zu finden. Auch wenn Klärwerke in Industrienationen Mikroplastik mittlerweile zu einem sehr hohen Anteil aus Klärschlamm herausfiltern können, verbleibt ein Rest im Trinkwasser. Und wenn der Klärschlamm auf Felder gegeben wird, gelangt das Mikroplastik möglicherweise wieder in den Nahrungskreislauf.
Die entscheidende Frage ist natürlich: Wie gefährlich ist Mikroplastik für Mensch und Tier? „Man weiß noch nicht genug über die Gefahren“, sagt Saskia Ziemann. Es handele sich um eine sehr heterogene Substanzklasse, die sich beim Zerfall auch verändere. Eine Gefahr sieht die Geoökologin aber auf jeden Fall in den Zusatzstoffen des Kunststoffs, den sogenannten Additiven, die ebenfalls freigesetzt werden und toxisch seien. Sicher ist auch, dass Mikroplastik in verschiedenen Organen des Menschen gefunden wurde: So zeigten sich in der Leber chemische Rückstände von Mikroplastik, im Darm und im Fettgewebe. Zumindest unter Laborbedingungen können auch Herz, Nieren, Milz und Lunge Plastik anreichern. Unklar ist aber, ob sie das im Körper auch tun. Problematisch ist, dass Mikroplastik vielfältige Oberflächen für die Anlagerung von Schadstoffen und Krankheitserregern bietet.
Dass Plastik und Mikroplastik in diesen Mengen Probleme verschiedener Art darstellen, ist vielen Regierungen mittlerweile klar: von der Vermüllung der Gewässer, dem gewaltigen Ressourcen- und Energieaufwand bei der Herstellung und Verwertung des Materials bis hin zu den möglichen Gesundheitsgefahren. Proklamiert und beschlossen wurden einige Maßnahmen in den vergangenen Jahren, wie Dr. Ziemann deutlich macht. So wird seit 2022 das „Global Plastic Pollution Agreement“ der UNEA verhandelt. Auch die Initiative „Osaka Blue Ocean Vision“ zielt auf eine Reduzierung von Plastikmüll im Meer. In der EU beschloss man die „Single Use Plastics Directive“ und den „Green Deal“. In Deutschland gibt es seit 2024 die „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“. Aber: Die Mühlen mahlen langsam. Die fossile Industrie und die Plastikindustrie seien von diesen geplanten Regelungen nicht begeistert, wie die Referentin vorsichtig betont. Und: „Die Mehrwegquote wird nicht umgesetzt“. Immerhin: Die Forschung in diesem Bereich wird zumindest in Deutschland unterstützt, beispielsweise im Hinblick auf eine Reduzierung des Reifenabriebs. Auch die Bildung von Kindern und Jugendlichen wird durch die Initiative „Plastik in der Umwelt“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. So sind in den vergangenen Jahren verschiedene Pixi- und Lesemaus-Bücher und Schulmaterial entstanden.
Auf die Frage der Zuhörerinnen und Zuhörer, was denn getan werden muss und was der Einzelne tun kann, meint die Expertin: „Für den Einzelnen ist es schwierig. Man ist allein, und einer schiebt es auf den anderen“. Nichtsdestotrotz hat sie Ideen: Neben der Notwendigkeit internationaler und multinationaler Abkommen, die auch in Entwicklungs- und Schwellenländern das Bewusstsein für die Problematik von Plastikmüll schärfen, setzt sie auf eine Kombination von Aufklärung und Anreizen. Man müsse bestimmte Maßnahmen „hip machen“, sodass Industrie und Verbraucher mitzögen. Allein damit aber sei es nicht getan, meint Dr. Ziemann: „Wir brauchen mehr Regulierung und strengere Vorgaben“. (mh) (Fotos: Antje Maisch)



